0435 - Mörder bitten nie um Gnade
hielt den Finger gekrümmt. Seine stechenden Blicke glitten zwischen Shefferman und mir hin und her.
Plötzlich wurde Shefferman still. Die Waffe lag bewegungslos in seiner Hand. Er kam zwei Schritte auf mich zu, blieb stehen. Seine Augen stachen wie Dolche, brutal und gehässig. Er sprach sehr leise:
»Ich werde dafür sorgen, daß ihr mich nicht überlebt. Erst kommst du und dann kommt sie dran. Mit einer einzigen Bewegung des kleinen Fingers. So!« Er knipste mit den Fingern. »Das wird sie zerreißen. Nichts bleibt mehr von ihr übrig.«
Er holte tief Luft und zielte. Zwei Schritte stand er vor mir. Schweiß trat mir auf die Stirn, rann mir den Rücken hinunter, ließ mir das Hemd am Körper kleben. Shefferman war wahnsinnig. Ich mußte etwas unternehmen. Ich wollte sprechen, aber ich hatte keinen Atem. Etwas würgte im Hals. Die Zunge klebte am Gaumen.
»Es gibt natürlich noch eine Möglichkeit«, sagte er plötzlich. »Ich gebe Ihnen Lil Hogan, und Sie besorgen mir einen brauchbaren Paß und unternehmen nichts gegen mich, bis ich aus den Staaten bin. Das ist Ihnen doch das Girl wert, oder?«
»Sofort!« sagte ich, denn das schien mir eine echte Chance zu sein, Lil Hogan wiederzubekommen. Aber ich fragte mich, ob sie noch lebte. Zudem glaubte ich, daß die Ausführung dieses Planes für Shefferman viel zu riskant war.
Der Gangster schien die gleichen Gedanken zu haben. »Ich bin sowieso ein Narr«, sagte er, »daß ich Ihnen ein solches Angebot mache. Ich traue Ihnen nämlich nicht über den Weg. Sie könnten mich ganz schön reinlegen. Aber ich sage es Ihnen gleich. Dann stirbt nicht nur die Hogän, sondern auch Ihr Kollege.«
»Ich brauche Gewißheit darüber, ob I ,il noch lebt«, sagte ich- »Sie sind verrückt, Cotton!« Er sprang auf und betrachtete mich argwöhnisch. »Was haben Sie vor? Zum Teufel? Ich traue Ihnen nicht.«
Ich sah plötzlich ein Glitzern in seinen Augen, das mir nicht gefiel. Sein Mißtrauen war so groß, daß er plötzlich jede Überlegung zu vergessen schien. »Zum Teufel, Cotton, was haben Sie vor?« schrie er mich an. Dann war plötzlich alles still. Seine Pupillen verengten sich. Ich wußte plötzlich, jetzt würde er schießen.
Der Schuß zerpeitschte die Stille.
***
Lil Hogan lag erschöpft in einem Sessel. Breite Lederriemen fesselten ihre schlanken Arme an die Sessellehne. Sie war müde, unendlich müde, und konnte nicht schlafen. Die Gelenke schmerzten sie. Die Haut hatte sich unter dem Leder wundgerieben. Ihre schlanken Beine steckten noch in der aufgekrempelten Hose des Keepers. Die Jacke hatte man ihr ausgezogen, und sie war dankbar dafür, denn das Zimmer war sehr heiß. Die großen Heizkörper hinter ihrem Sessel und neben der Tür spuckten eine Hitze aus, als sollten sie alle hier braten-Crazy Charles und der »Wattierte« hockten an einem runden Tisch, der vor einer Wand aus Glasbausteinen stand. Sie pokerten, lachten und schimpften und knallten die Karten kräftig auf die Platte.
Aus dem langen Schrank jammerte die Frühmusik und sägte an Lils Nerven. Sie stöhnte.
Der »Wattierte« behielt die Karte, die er gerade auf den Tisch schmettern wollte, in der Hand und drehte sich zu dem Mädchen hin.
»Ist was, Miß?«
»Kümmere dich nich’ um das Girl!« brummte Crazy Charles. »Die geht dich’n Dreck an, Henry.« Er packte den »Wattierten«, den er mit Henry angeredet hatte, grob am Ärmel und zeigte mit seinem dicken Finger auf die Karten.
»Spiel allein weiter! Der Miß geht es nicht gut!« sagte Henry bestimmt. Er stand auf und ging zu Lil hinüber.
Crazy Charles schnaufte und blitzte den Jungen aus seinen bösen Augen an. Er schnaufte hinter ihm her: »Kümmer dich um den Bau hier! Die Kleine geht dich’n Dreck an.«
»Halt den Mund!« sagte Henry.
Er war ein gutaussehender junger Mann, klein und hager, aber mit sympathisch wirkenden Gesichtszügen. Er war ein Mann, der in den Kreisen Sheffermans eigentlich nichts zu suchen hatte.
Henry hatte die Aufgabe, diese großzügig angelegte Villa mit Swimmingpool zu verwalten und dafür zu sorgen, daß Shefferman stets einen Unterschlupf hatte.
Lil betrachtete die weichen Züge des jungen Mannes, der vor ihr stand. Sie wies ihn stumm auf ihre gefesselten Arme hin.
Henry blickte auf das rote Haar, das in weichen Locken über die Lehne des Sessels hing. Er sah in die traurigen grünen Augen des Mädchens und empfand plötzlich Mitleid mit ihr.
»Die Miß läuft uns nicht weg«, sagte er. »Wir
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