0436 - Tanz auf dem Scheiterhaufen
Geräusch. Und es war nicht draußen, sondern im Haus aufgeklungen.
Sogar in ihrem Zimmer.
Suko leuchtete in die Richtung. Der helle, bleiche Lichtfinger strich über den Boden, und erst jetzt, als eine bestimmte Stelle angeleuchtet wurde, erkannten sie, daß sich die Klappe einer im Boden eingelassenen Falltür hob…
***
Suko legte einen Finger auf die Lippen. Das Zeichen verstand Shao, sie nickte.
Dann bewegte der Inspektor seine rechte Hand, in der er die Beretta hielt. Die Verlängerung der Mündung bildete eine schräge Linie, die auf den Spalt der sich öffnenden Falltür zielte.
Suko hatte den Strahl der Lampe zur Seite gedreht, damit die Person, die aus der Tiefe kam, nicht geblendet wurde.
In dem Spalt erschien ein grau wirkendes Gesicht. Es war nicht zu erkennen, ob es einer Frau oder einem Mann gehörte, aber die Person mußte längst erkannt haben, daß Besuch eingetroffen war.
Trotzdem traf sie keinerlei Anstalten, sich wieder zurückzuziehen. Es machte ihr nichts aus, daß jemand auf sie wartete.
Suko und Shao schauten zu, wie eine Gestalt hochkletterte, die an eine alte Hexe erinnerte, wie sie immer in den Märchenbüchern dargestellt wurde.
Wirklich alt und häßlich, mit einer scharf gekrümmten Nase, auf der ein Höcker saß. Das Weib war in Lumpen gehüllt, die locker um ihren Körper hingen.
Sie trug ein staubiges Tuch um den Kopf gebunden, das ihre verfilzten Haare aber nicht vollständig bändigen konnte, denn zu beiden Seiten schauten die bleichgrauen Strähnen hervor und kitzelten mit ihren Enden eine Haut, die nur aus Falten, Runzeln und Runen zu bestehen schien. Dieses Muster hatte sich tief in das Gesicht eingegraben. Die einzelnen Gräben waren mit Staub und Dreck gefüllt.
Während sie sich bewegte und dem Ächzen der hölzernen Falltür lauschte, als diese hochgeklappt wurde, kicherte sie vor sich hin, schüttelte den Kopf und schaute Shao starr an.
»Du bist schön!« sagte sie in einem Dialekt, den die beiden kaum verstanden, denn es war ein sehr altes Englisch, das da krächzend aus dem fast lippenlosen Mund drang.
Shao zeigte sich irritiert. Sie konnte nichts erwidern und versteifte sich auf ihrem Stuhl, als die Alte näher kam, neben ihr stehenblieb, eine Haarsträhne faßte und sie durch ihre schmutzigen Finger gleiten ließ. »Ja, du schön.«
»Was soll das?« fragte Shao.
Sie kümmerte sich um den Einwand nicht und redete weiter. »Schöne Frauen sind selten. Die Große Mutter hat nur Diener gehabt. Sie will aber Frauen, denn in dieser Nacht wird es zum Tanz auf dem Scheiterhaufen kommen, wo sie ihre Wiedergeburt erlebt.« Die Alte kicherte plötzlich. »Ich habe alles dazu getan, was ich nur konnte. Jetzt ist die Große Mutter an der Reihe.«
»Sprichst du von Lilith?« fragte Suko.
Die Alte drehte ihren Kopf langsam in seine Richtung. »Ja, auch Lilith sagt man zu ihr. Gehört ihr zu denen, die sie durch das Hexentor geholt hat?« Sie redete weiter und gab sich selbst die Antwort.
»Ja, ihr beide müßt dazu gehören. Es wurde lange davon gesprochen. Das Hexentor kann nur zu einer bestimmten Zeit geöffnet werden. Heute nacht ist es soweit. Da stand es offen. Viele kamen, auch ihr. Ich habe andere gesehen, aber sie sahen nicht so gut aus. Sie waren Gefangene, die Häscher haben sie geholt.«
»Sind es die Reiter in den blauen Kutten?« fragte Suko.
»Das stimmt. Sie gehören zur Großen Mutter, weil sie fast so sind wie sie.«
Suko widersprach. »Die Große Mutter ist eine Frau. Wie sollen sie zusammengehören?«
»Ich weiß es.«
»Auch wir wollen es wissen!« Suko blieb hart. Er hatte den Eindruck bekommen, an einer entscheidenden Stelle zu stehen. Dieses alte Weib wußte sehr viel.
»Wollt ihr es tatsächlich sehen?«
»Ja.«
»Gut, dann müßt ihr mit mir kommen.« Sie lachte leise. »Kommt in Genovevas Reich.«
»So heißt du?« fragte Suko.
»Ja, ein schöner Name, nicht wahr?« Der Inspektor unterließ einen weiteren Kommentar. Er wollte die Frau nicht beleidigen.
Shao stand ebenfalls auf. Sie schaute Suko mit einem vielsagenden Blick an, ohne jedoch einen Kommentar abzugeben. Erst als sie neben ihm stand, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Ich traue ihr nicht.«
Obwohl sie leise gesprochen hatte, waren die Worte von Genoveva gehört worden. »Was habe ich dir Schlimmes getan, daß du mir nicht über den Weg traust?«
»Das solltest du nicht persönlich nehmen«, erwiderte Suko an Shaos Stelle.
»Ich bin, wer ich bin.«
»Wir glauben
Weitere Kostenlose Bücher