044 - Der Todesschwarm
plötzlich. „Ein bezauberndes Persönchen. Immer natürlich und zu jedermann freundlich – auch nach ihrem Filmerfolg. Das gefiel mir besonders an ihr. Der Rummel um ihre Person verdrehte ihr den Kopf kein bisschen. Schade um sie – wirklich schade.“
„Kannten Sie Gloria näher?“ wollte Patsy wissen. Sie lehnte sich an Ronald und sah den Arzt fragend an.
„Nein, leider nicht. Ich gehörte zu ihren glühendsten Bewunderern – aber nur im stillen. Ich hatte keinerlei persönlichen Kontakt mit ihr. Wir sprachen nicht ein einziges Mal miteinander. Ich bedauere das sehr.“
„Ich dachte, in so einem Nest stünde jeder mit jedem auf du und du – zumal Gloria hier geboren wurde?“
„Miss Barneby schon – aber ich nicht. Ich zog erst vor zwei Jahren her. Davor wohnte ich in Dublin, wo ich als Oberarzt in einem Krankenhaus arbeitete.“
Ronald fischte eine angebrochene Zigarettenpackung aus der Tasche seiner hellen Flanellhose und hielt sie dem Arzt hin. Doch der lehnte ab.
Ronald schob sich eine verbogene Zigarette zwischen die Lippen, ritzte ein Streichholz an seiner Schuhsohle an und steckte die Zigarette in Brand. Tief sog er den Rauch ein.
„Was verschlug Sie denn von der Hauptstadt in die finstere Provinz?“ fragte er neugierig und blies dem Arzt eine Rauchwolke ins Gesicht.
Dr. Hillary bedachte ihn dafür mit einem straf enden Blick.
„Ein Landarzt verdient doch erheblich weniger als ein Oberarzt. Noch dazu in einem so kleinen Ort wie Bunslare.“
„Stimmt, Mr. Marvin, aber Geld ist für mich nicht das Wichtigste. Der Trubel in einem Krankenhaus ging mir schon immer auf die Nerven. Ich sehnte mich stets nach einem stillen Plätzchen, wo ich in aller Seelenruhe meinen Studien nachgehen kann. In dieser Gegend fand ich endlich das Gesuchte: Ein gemütliches Haus ein Stück außerhalb – und viel Ruhe.“
„Aha, jetzt verstehe ich so allmählich“, sagte Ronald. „Deshalb wollen Sie auch nicht, dass die Öffentlichkeit allzu viel über Glorias Tod erfährt. Sie befürchten den Ansturm der Reporter. Man würde Sie ausfragen und Ihnen Löcher in den Bauch reden – und damit Ihre Ruhe stören. Stimmt’s?“
„Unter anderem – ja. Wissen Sie, die Praxis als Arzt und Leichenbeschauer betreibe ich nur so nebenbei – als zweites Hobby sozusagen. Wesentlich mehr Gewicht lege ich auf meine Hauptarbeit – mein erstes Hobby, wenn Sie es so nennen wollen.“
„Das lautet?“
„Ich beschäftige mich mit den elektrochemischen Strömen im menschlichen Gehirn.“
„Ich muss sagen – wirklich kein alltägliches Hobby, Doktor.“
Dr. Hillary lächelte leutselig. „Für mich schon, Mr. Marvin. In meiner Dubliner Zeit hatte ich laufend damit zu tun. Bevor ich Oberarzt wurde, arbeitete ich nämlich jahrelang in einer Nervenklinik.“
„Ach so, das ist natürlich etwas anderes.“
Sergeant Priston kam zurück. Er trug Glorias Basttasche und das Badetuch unter dem Arm.
„Fanden Sie noch etwas Interessantes heraus?“ fragte Ronald gespannt.
„Nichts – leider“, erwiderte der Beamte und spuckte in hohem Bogen ins Gras.
„Schade, ich dachte schon, Sie brächten vielleicht einen niedlichen Mini-Vampir mit“, spöttelte Dr. Hillary mit einem Seitenblick auf den amerikanischen Reporter.
Sergeant Priston grinste breit. „Damit kann ich allerdings nicht dienen. Aber etwas anderes, Doktor: Ist diese Krankheit ansteckend?“
„Keine Rede davon“, versicherte der Arzt. „Sie können beruhigt sein.“
„Besitzt Gloria eigentlich Verwandte?“ wollte Ronald wissen.
„Nein, sie lebte ganz allein“, gab der Sergeant Auskunft. „Ihre Eltern starben vor drei Jahren kurz hintereinander. Aber soviel ich weiß, hatte sie einen Stiefbruder.“
„Kennen Sie seine Adresse?“
„Nein. Er lebt irgendwo in Dublin, glaube ich. Ich werde mich bei der zuständigen Behörde erkundigen. Wir müssen ihn ja von Gloria Barnebys Tod verständigen.“
Ronald legte den Arm um Patsys Schultern. „Ich melde mich morgen wie verabredet bei Ihnen, Doktor. Sergeant, wir sehen uns ja später noch.“
„Gut, meine Herrschaften – Sie werden das unaussprechliche Vergnügen haben, einen Aufpasser zu kriegen. Auf den Anblick der fertigen Bilder freue ich mich jedoch überhaupt nicht. Was ich vorhin sah, reicht mir fürs ganze Leben.“ Er verzog das Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. „Ich bringe Doktor Hillary rasch zu seiner Patientin.“ Er kramte in Glorias Basttasche herum. Nach
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