044 - Die Millionengeschichte
Charakteren, ja, darauf gründete sich überhaupt die merkwürdige Freundschaft zwischen ihnen. John Sands war geradezu ein Meister in diesem Spiel, aber Harry Léman stand ihm kaum nach.
»Um was spielen wir heute?« fragte er.
»Um hunderttausend Dollar den Punkt«, erklärte Léman prompt.
»Das heißt also: einen Cent den Punkt, und einen Dollar für den Rubber, wie gewöhnlich«, erwiderte John ernst und verteilte die Karten. »Wo ist eigentlich Faith?« fragte er dann.
»Auf ihrem Zimmer. Sie sucht ihre Stimmung zu verbessern.«
»Sie hat aber auch kein leichtes Leben, Sie machen es ihr zur Hölle.«
Der Millionär grinste.
»Ja, sie hofft immer noch, John Sands! Sie hofft, daß ich eines guten Tages sterben und ihr eine Million vermachen werde. Die bilden sich nämlich ein, ich wäre herzkrank und würde bald das Zeitliche segnen. Aber ich denke gar nicht daran!«
Es klopfte an der Tür.
»Komm herein!« rief Léman, und das junge Mädchen trat ins Zimmer.
John erhob sich und reichte ihr die Hand.
»Hallo, Miss Léman, ich habe Sie ja eine ganze Woche lang nicht gesehen.«
Er bewunderte Faith Léman. Sie hatte große, graue Augen und eine zarte, schöne Gesichtsfarbe. Er bewunderte auch ihre graziöse Haltung und ihre anmutigen Bewegungen.
Jeder andere hätte sich über das Verhalten des alten Millionärs seiner schönen und liebenswürdigen Nichte gegenüber gewundert. Aber John Sands hatte nur zu oft diese unangenehmen Szenen erlebt. Der alte Harry Léman runzelte die Stirn, und als er mit ihr sprach, klang seine Stimme rauh und abweisend. »Nun, was willst du?«
Sie war an seine schlechten Stimmungen gewöhnt und kümmerte sich nicht weiter darum.
»Ich wollte nur fragen, ob ich etwas tun kann für dich.«
»Nein, ich brauche nichts«, erwiderte der Alte barsch. »Wenn du etwas tun willst, dann geh zu Bett. Ich brauche keine Wärmflasche für die Nacht, und ich kann auch einschlafen, ohne daß du mir das Kissen in den Rücken stopfst oder dich an mein Bett setzt und meine Hand hältst. Ich kenne schon alle die Tricks einer schönen Erbin, die ihren alten, sterbenden Onkel umgarnen will!«
Sie sah ihn ruhig an, nickte John Sands noch einmal zu und verließ dann das Zimmer.
»Ich verstehe nur eins nicht. Wenn Sie Faith hassen, warum behalten Sie sie dann bei sich?«
»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Sachen«, brummte Léman.
»Wenn ich mich über etwas noch mehr wundere als über die grobe Art und Weise, wie Sie sie behandeln, dann ist es höchstens die Tatsache, daß sie alles mit Gleichmut erträgt und nichts darüber sagt.«
»Das muß sie wohl, meinen Sie nicht auch? Ich unterstütze doch ihre Mutter! Wenn ich nicht wäre, würde die doch im Armenhaus sitzen!«
»Aber Sie müssen doch Ihr Vermögen irgend jemand hinterlassen.«
»Auf keinen Fall meiner Nichte oder ihrer faulen Mutter. Haben Sie mich verstanden? Das habe ich ihr auch schon erklärt. Es wäre überhaupt besser, daß ich mich verheiratete. Ich habe neulich schon gesagt, daß ich es auch bestimmt tun werde.«
»Na, das wäre nicht das erstemal, daß Sie darüber sprechen.«
»Haben Sie eine Zeitung mitgebracht?« fragte der Alte, nachdem sie schweigend ein paar Runden gespielt hatten.
»Ja, ich habe eine Abendzeitung.«
»Lassen Sie mich einmal sehen.«
John ging zur Garderobe, holte die Zeitung aus der Manteltasche und brachte sie Harry Léman. Der Alte blätterte die Seiten eifrig um.
»Gut! Sehr gut! Mexikanische Silberminen sind um zwei Punkte in die Höhe gegangen. Ich habe am Montag hunderttausend Kleinaktien davon gekauft.«
John lachte.
»Zum Teufel, warum lachen Sie über das, was ich sage?«
»Es ist doch wirklich lächerlich. Nun sitzen Sie hier, zergrübeln sich den Kopf, wie Sie Ihr Vermögen vergrößern können, und besitzen so viel Geld, daß Sie nicht wissen, wohin damit - aber trotzdem haben Sie nichts davon. Sie verstehen überhaupt nicht, Geld richtig auszugeben. Wenn Sie wenigstens noch Vergnügen daran hätten, Ihre Einnahmen zu erhöhen!«
»Woher wissen Sie denn, daß ich kein Vergnügen daran habe? Verstehen Sie denn nicht, daß das allergrößte Vergnügen darin liegt, andere Leute davon abzuhalten, das Geld zu verdienen, das man sich selbst in die Tasche steckt? Nicht das Bewußtsein, daß ich ein so großes Vermögen habe, befriedigt mich, sondern die Tatsache, daß andere Leute mein Geld nicht haben. Sehen Sie, das ist ein Trick, den nicht alle Leute verstehen. Die größte
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