0447 - Der Drachen-Meister
Abermals krachten Hornschuppen, als sie unter den Zähnen der Reitechse zertrümmert wurden. Der Drache brüllte. Schwärzliches, stinkendes Blut quoll wie heißer Teer aus den Wunden hervor. Die beiden Riesenechsen verbissen sich ineinander, rollten fauchend, brüllend, kratzend und beißend über den Boden der Höhle.
Lyan war wieder auf die Beine gekommen. Fasziniert sah er dem Kampf der Titanen zu. Der Drache hatte schlechte Karten. Er hatte es zwar noch fertiggebracht, die Reitechse mit seinen Flammen zu versengen, ihr Brandwunden zuzufügen, aber das hatte die Echse nur noch wilder gemacht. Unter ihren Prankenhieben wirbelten losgerissene Drachenschuppen hervor, ihre Zähne und Krallen fetzten große Stücke zähen Fleisches aus dem Drachenleib. Bestialischer Gestank breitete sich aus, und das schwarze Drachenblut quoll in immer größeren Strömen aus dem verletzten Körper, bildete stinkende Lachen zwischen den Steinplatten des Bodens.
Lyan wußte jetzt, daß seine Echse Sieger bleiben würde. Sie würde den Drachen töten, sich an ihm satt fressen und dann so müde sein, daß er ihr das Zaumzeug relativ mühelos wieder anlegen konnte.
Da brauchte er keine Sorge mehr zu haben.
Er wandte sich dem Mädchen zu, das bis an die Felswand zurückgewichen war und aus großen Augen dem bizarren Kampf zuschaute. Bis auf ein paar Hautabschürfungen war die Braunhaarige unverletzt. Lyan atmete erleichtert auf. Er war also nicht zu spät gekommen. Sein Blick streifte die verkohlten Skelettreste anderer Opfer, die weniger Glück gehabt hatten.
Der Drache zuckte nur noch müde. Aus seinem wütenden Brüllen war ein hustendes Bellen geworden, er war nicht mehr in der Lage, sich ernsthaft zu wehren. Feuer spie er nicht mehr, nur noch ein paar verglimmende Funken. Sein Schwanz zuckte noch einige Male ermattet hin und her. Die Echse begann bereits zu fressen.
Das Mädchen schloß die Augen und wandte sich ab.
»Keine Sorge«, sagte Lyan leise und berührte ihre Schultern. »Es ist bald vorbei. Kreaturen ihrer Art sind schnell gesättigt und müde.«
Das Mädchen schüttelte seine Hand heftig ab.
»He«, sagte Lyan. »Was ist los?«
»Laß mich«, stieß die Braunhaarige hervor.
»Du solltest deinem Retter ruhig etwas mehr zugetan sein«, sagte Lyan. »Ohne mich wäre jetzt nicht der Drache die Mahlzeit, sondern du.«
Das Mädchen wirbelte herum. »Wer… wer bist du überhaupt? Weshalb bist du gekommen? Willst du mich quälen? Mir eine Rettung vorgaukeln, die es nicht gibt?«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Lyan. »Was meinst du damit?«
Sie sah an ihm vorbei, ihr Gesicht war eine wächserne Maske. Langsam drehte Lyan sich um.
Aus einer der Röhren schob sich die wuchtige, klobige Schuppengestalt eines zweiten Drachen hervor.
Damit hatte er nicht gerechnet!
***
»Das Telepathenkind - lebt.«
Sid Amos zuckte zusammen.
Langsam drehte er den Kopf. Ungläubig staunend sah er die Gestalt an, die seinen kleinen Wohnraum betreten hatte. Dann erhob er sich bedächtig.
»Merlin? Bruder? Du bist erwacht?«
Der Mann mit dem langen weißen Bart und den Augen, die so jung wie die Ewigkeit waren, nickte langsam. »Ich glaube, ich bin erwacht. Ich empfing die Botschaft eines Freundes. Der Druide Gryf überbrachte sie mir.«
»Das - ist ungeheuerlich«, entfuhr es Sid Amos. »Wieso weiß ich davon nichts?«
Merlin lächelte. »Vielleicht bleiben dir manche Wege verschlossen, weil du zu sehr auf deine eigene Magie fixiert bist«, sagte er. »Du solltest dich der ursprünglichen Magie Caermardhins öffnen, statt der Burg deine aufzwingen zu wollen.«
»Das - kann ich nicht«, entfuhr es Sid Amos widerwillig. »Noch nicht«, schränkte er sofort ein. »Was sagtest du? Das Telepathenkind lebt? Robert Tendykes Kind? Aber wie ist das möglich? Die Bombe zerstörte alles Leben. Ich jagte den vermeintlichen Mörder, um festzustellen, daß ein anderer der wirkliche Täter ist. Ein Täter, der nun dahinsiecht und seinem baldigen Ende entgegen sieht.«
»Seinem baldigen Ende?« Merlin schüttelte den Kopf. »Dann siehst du in diesem Punkt mehr als ich, blickst in eine andere Zukunft. Sie leben alle. Gryf kam zu mir und sagte es mir. Sie sind rechtzeitig geflohen, haben sich versteckt gehalten.«
»Wo sind sie jetzt?« entfuhr es Amos. Seine Augen glühten. Sein ganzer Körper zitterte vor Erregung. Er war kaum wiederzuerkennen. »Wo ist Robert Tendykes Kind? Sage es mir. Schnell! Ich muß zu ihm, muß es sehen.«
»Nein«,
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