0447 - Der Drachen-Meister
sagte Merlin.
»Du weißt nicht, was du da redest«, fauchte Sid Amos. »Willst du es mir verweigern? Mit welchem Recht?«
»Ich verweigere es dir nicht«, sagte Merlin, »sondern der Vater des Kindes. Schau selbst.«
Merlin machte einige schnelle Handbewegungen. In der Luft glomm ein heller Lichtbogen auf, vergrößerte sich zu einem Würfel, in dem zwei Personen zu sehen waren. Merlin in seinem Gewand, mit einer goldenen Schnur gegürtet und die rituelle goldene Sichel hinter diese Schnur gesteckt. Und ein blonder junger Mann im Jeansanzug, dessen Augen schockgrün schimmerten. »Dich soll ich benachrichtigen, Merlin, und ich freue mich, daß du wach bist, um diese Nachricht entgegenzunehmen. Du bist eingeladen, das Wiedersehen zu feiern. Doch dein dunkler Bruder darf nicht kommen. Rob Tendyke will es nicht. Er hat es verboten. Deshalb wohl findet das Freudenfest auch im abgeschirmten Bereich statt. Wirst du kommen, Merlin, um die Totgeglaubten unter den Lebenden zu begrüßen?«
»Nein. Ich kann es nicht. Meine Kräfte lassen es nicht zu - noch nicht. Aber entbiete dem Kind, seinen Eltern und auch dem Gastgeber meine Grüße.«
Das Bild verblaßte wieder.
Sid Amos starrte den Punkt in der Luft an, wo es eben noch, existiert hatte. »Wann war das?« murmelte er. »Warum habe ich nichts von Gryfs Besuch bemerkt? Ich hätte es erfahren müssen, unbedingt. Niemand kann ohne mein Wissen Caermardhin betreten…«
»Anscheinend doch«, lächelte Merlin. »Vergiß nicht, daß Gryf, Teri und Fenrir hier einmal gewohnt haben, daß sie immer noch Hausrecht genießen. Nachdem Gryf ging, kam ich geradewegs zu dir, um dich zu informieren. Ich dachte mir, es würde dich interessieren.«
Sid Amos nickte.
»Und wie«, keuchte er. »Der Gastgeber, abgeschirmter Bereich - es ist Zamorra in seinem Schloß, ja?«
Merlin nickte.
»Ich werde… ah!« Amos murmelte eine Verwünschung in der Sprache der Höllischen. »Château Montagne! Es ist nicht fair! Ich kann die Abschirmung nicht durchdringen! Warum haßt er mich so? Warum? Schon einmal verweigerte er mir, seinen Sohn zu begrüßen. Schon einmal…«
»Ich denke, es liegt an deiner Abkunft«, sagte Merlin leise.
»Aber du und ich«, brüllte Sid Amos, »wir stammen beide aus demselben Nest! Unsere Abstammung ist gleich! Du wechseltest damals die Seiten, ließest mich im Stich! Was hätten wir alles gemeinsam bewirken können! Aber du entschiedest dich anders! Ich bin dir jetzt gefolgt. Ich gehe jetzt deinen Weg! Warum behandelt man mich dann nicht, wie man dich behandelt? Nur, weil eine Ewigkeit dazwischen liegt?«
»Vielleicht«, sagte Merlin. »Und vielleicht auch, weil du meinen Weg noch nicht ganz beschreitest. Mit dem Körper, aber nicht mit dem Herzen. Das vergißt man nicht.«
»Aber er ist…«
Amos unterbrach sich. Er schüttelte den Kopf. »Ich muß das Kind sehen«, sagte er. »Hilf mir dabei, Bruder.«
»Ich kann dir nicht helfen«, sagte Merlin rauh. »Diesmal nicht. Es ist mir nicht gegeben. Finde dich damit ab. Dunkler Bruder, ist es dir nicht genug zu wissen, daß das Kind lebt, daß ein Strahl der Hoffnung diese Welten durcheilt?«
»Es ist mir nicht genug«, sagte Sid Amos dumpf. »Es kann mir nicht genug sein. Bruder, wenn du wärest wie ich, würdest du den Grund wissen. Doch du verstehst mich nicht. Sie alle verstehen mich nicht. Sie binden mich in Aufträge und Erwartungen, sie sehen mich so, wie sie mich sehen wollen. Und wenn ich einmal nicht ihrem Bild entspreche, zwingen sie mich, in den Rahmen zu passen. Auch du, Bruder, bist da keine Ausnahme. Geh, laß mich allein.«
»Bist du sicher, daß du allein sein willst?« fragte Merlin. »Was hast du vor?«
»Geh! Lange genug habe ich mich nach deinem Willen gerichtet, jetzt richte dich einmal nach meinem! Geh!«
»Ich habe dich immer als das akzeptiert, als das du dich mir gezeigt hast«, sagte Merlin und verließ den Raum. Lautlos schloß die Wand sich hinter ihm.
Sid Amos stand mit geballten Fäusten da. Er atmete schwer. Sein Blick irrte durch die düstere, teilweise morbide Einrichtung seines Raumes. Merlin hatte recht. Mit dem Körper und dem Verstand hatte Sid Amos - Asmodis - der Hölle den Rücken gekehrt. Aber er hatte zu lange dort gelebt und gekämpft, als daß er alles Dunkle ganz ablegen konnte. Alles in diesem Raum zeugte von seiner Vergangenheit. Manifestierte Erinnerungen. Aber wenn er sie aufgab, gab er Jahrtausende auf. Er konnte es nicht. Seine Vergangenheit gehörte zu
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