0447 - Der letzte auf dem Todesstuhl
Er fluchte leise, warf die Zigarette in den Aschenbecher und klopfte die Revers der Jacke ab. Außerdem rief er: »Herein!« Er rechnete mit dem Portier oder dem Besitzer des Hotels. Einen Zimmerkellner oder ein Zimmermädchen gab es in dem Hotel nicht.
Harper hörte, wie die Tür in den Angeln knarrte, als sie geöffnet wurde. Er blickte auf. Mechanisch klopften seine Hände weiter an den Revers, aber dann ließ er sie sinken.
»Welche Überraschung«, sagte er. »Ich erwartete Sie erst morgen um zwei Uhr nachmittags.«
Er log. In Wahrheit hatte er den Mann überhaupt nicht mehr erwartet, aber Harper war ein Mann, der sich rasch auf eine veränderte Situation einzustellen verstand. Sein Besucher trug einen Trenchcoat, eine dunkle Brille und einen tief in die Stirn gezogenen Hut. Harper sah ihn jetzt zum viertenmal und das erste Mal bei Tageslicht, aber immer erschien der Mann im gleichen Aufzug.
Und wieder ließ der Mann sein Gesicht nicht sehen. Immer noch trug er die Gummimaske mit dem starren Lächeln auf den künstlichen Lippen. »Wie sind Sie am Portier vorbeigekommen?« fragte Harper. »Ich kann nicht glauben, daß er Ihr Gummigesicht für echt gehalten hat.«
»Der Portier hat mich nicht gesehen. Diese Etage läßt sich spielend über die Feuerleiter erreichen, und ich werde auf demselben Wege verschwinden, wenn wir uns nicht einigen können.«
»Nichts leichter als das. Mit zwanzigtausend Dollar können Sie eine prächtige Einigung herbeiführen.«
»Das Geld liegt in meinem Wagen. Wo ist die Ware?«
»In einem Safe, den ich Ihnen zeigen werde, wenn ich die Dollars gesehen habe.«
»Gut! Lassen Sie uns die Sache sofort abwickeln. Aus bestimmten Gründen kann ich nicht mehr bis morgen warten.«
»Sitzt Ihnen das FBI auf den Fersen?« Der Maskierte antwortete nicht. Harper nahm das Schweigen als Antwort. »Wenn die G-men Ihnen so nahe sind, werde ich besser dieses Quartier räumen und nicht zurückkommen.«
Erst jetzt schwang er sich vom Bett hoch. Wie in einem Reflex zog der Maskierte eine Waffe aus der Tasche. Es war eine ziemlich kleinkalibrige Kanone, nicht die Luger, die der Mann sonst trug.
»Ich brauche nur zwei Minuten zum Packen.«
»Haben Sie eine Waffe?« fragte der andere.
»Ja«, antwortete Harper. »Seitdem Sie mich am Strand von Atlantic Beach so unfreundlich behandelt haben, ziehe ich es vor, eine Pistole zu tragen.«
Er öffnete den schäbigen Kleiderschrank, nahm einen kleinen Koffer und warf einige Wäschestücke, die der Schrank enthielt, hinein. Sein Besucher blickte ihm über die Schulter. Er sah im obersten Wäschefach das Paket liegen, das er in der vergangenen Nacht dem Mann aus Washington als Anzahlung überreicht hatte.
»Sie haben es nicht einmal geöffnet?« fragte er rauh.
Harper blickte über die Schulter in'das Maskengesicht. »Selbstverständlich öffnete ich es und zählte nach«, antwortete er und warf gleichzeitig das Paket in den Koffer. »Ich habe es nur wieder genausogut verschnürt wie Sie!«
Er drehte sich um, sog die Luft durch die Nase, grinste und stellte fest: »Mann, Sie benutzen aber ein teueres Rasierwasser. Passen Sie auf, daß man Sie eines Tages nicht am Geruch erkennt.«
Der Maskierte wich unwillkürlich drei Schritte zurück. Harper ging zum Waschtisch, fegte Seife, Zahnbürste und Rasierapparat mit einer Handbewegung ins Necessaire, stopfte auch das in den Koffer und sagte: »Gehen wir!«
An einem Garderobenhaken neben dem Eingang hing Harpers blauer Trenchcoat. Er zog ihn an, knöpfte ihn sorgfältig zu und zog den Gürtel an. Er zeigte dem Maskierten den Ärmel, den er eigenhändig genäht hatte. »Den Riß verdanke ich Ihnen. Dabei hänge ich sehr an diesem Mantel.«
»Von dreißigtausend Dollar können Sie sich einen anderen kaufen.«
Harper lächelte. »Das hört sich an, als besäßen Sie Humor. — Wie wollen Sie mit Ihrer Maskerade am Portier vorbeikommen?«
»Mein Wagen steht genau vor dem Hoteleingang. Wir gehen nebeneinander die Treppe hinunter, und Sie werden sich Mühe geben, mich gegen den Portier zu decken. Sie bezahlen, während ich sofort zum Wagen gehe.«
»Einverstanden, wenn Sie nun einmal so großen Wert darauf legen, Ihre Haut keinem Lichtstrahl auszusetzen.«
Sie verließen das Zimmer, gingen zusammen die Treppe hinunter. Der Portier saß hinter der Empfangstheke und war in eine Zeitung vertieft. Bevor er sie sinken ließ, hatte der Maskierte schon den Ausgang erreicht. Der Portier sah ihm zwar nach, aber
Weitere Kostenlose Bücher