0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
Nähe der lukullischen Kostbarkeiten entdeckte ich ein gewisses rotes Kleid mit einem blonden zierlichen Köpfchen darüber. Ich ging hin Und gab der schnippischen Märchenfee einen deutlichen Wink. Zuerst warf sie trotzig das Köpfchen in den Nacken, dann aber besann sie sich und kam doch heran.
»Hallo, Miß O’Hara«, sagte ich lächelnd. »Sie müssen doch schon einige Jahrzehnte auf dem schönen Rücken haben? Dafür sehen Sie noch bemerkenswert jung aus.«
In ihre Augen kam wieder dieses übermütige Funkeln.
»Täglich drei Möhren«, raunte sie wichtig. »Das ist das ganze Geheimnis.« Ihr Blick tastete mich ab, und sie fügte hinzu: »Sie brauchen vielleicht vier, bei Ihrer Größe.«
»Vielen Dank für den Tip. Ich werde einen Lastzug Möhren beim Großmarkt bestellen. Ich frage mich, Miß O’Hara, ob Sie mir wohl einen Tip geben können.«
»Für das Rennen am Sonntag? Klar! ›Wüstenwind‹ siegt mit zwei Längen Vorsprung, Todsicher! Setzen Sie unbesorgt den ganzen Rest Ihres Beamtengehaltes, Mr. Cotton.«
»Das meine ich nicht. Vor etwa einer halben Stunde traf ich zufällig ein'sehr hübsches Mädchen hinter der Bühne. Sie war blond — echt blond, meine ich — und hatte herrliche blaue Augen. Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, wie dieses Mäcfchen heißen könnte?«
Sie tippte sich mit der Spitze ihres langen schlanken Zeigefingers gegen die Nase, legte das Köpfchen schief und tat, als ob sie nachdachte.
»Es könnte Mabel Jones gewesen sein.«
»Vielen Dank. Noch eine Frage, bitte: Soviel ich weiß, ist dies eine Art Internat, die Schülerinnen wohnen während der Semester hier. Wo ist das Gebäude, wo die Zimmer der Mädchen sind?«
»Kennen Sie den Verwaltungstrakt?«
»Ja.«
»Gehen Sie darauf zu und nehmen Sie den ersten Weg, der nach links abzweigt. Sie kommen am Trakt für den naturwissenschaftlichen Unterricht vorbei. Dreißig Yard dahinter liegt das Wohnhaus. Es hat drei Etagen und vor jedem Zimmer einen Balkon. Jedes Mädchen hat ein eigenes Zimmer. Die Namen stehen an der Tür.«
»Wenn Sie mal einen Beruf brauchen«, stichelte ich freundlich, »bewerben Sie sich bei der Polizei. Sie haben ein bemerkenswertes Talent, exakte Beschreibungen abzugeben. Vielen Dank.«
Ich fand das Gebäude auf Anhieb. Es hatte zwei Vollglas-Schwingtüren am Eingang, die nicht verschlossen waren.
In der hochmodernen, mit schwedischem Mamor ausgelegten Halle und im kühn konstruierten Treppenhaus brannten alle Lampen. Kleinigkeiten wie Stromrechnungen schien das Hunter College nicht zu fürchten. Es gab in jeder Etage etwa zwanzig Zimmer, und ich war in der ersten Etage angekommen und hatte schon an die dreißig Namen gelesen, als ich endlich das Schildchen ANN ROACH fand. Ich klopfte gegen die Mahagonitür, aber es regte sich nichts. Ich klopfte noch einmal, und dann probierte ich den hübschen goldenen Türknopf. Er ließ sich drehen, und die Tür ging auf.
Ein schwacher Duft von Parfüm oder guter Seife wehte mir entgegen. Ich wollte mir die Einrichtung betrachten, aber schon nach zwei Schritten hatte ich sie entdeckt.
Ich sah sie sofort. Sie lag auf dem Bett. Die Fingernägel ihrer rechten Hand hatten das Kopfkissen zerrissen. Um ihren Hals wand sich ein Nylonstrumpf. Das Gesicht war blau, die Zunge ragte hervor, und von den verdrehten Augen sah man nur das fahle Weiß. Es gehörte Fantasie dazu, um zu erkennen, dass dies einmal Ann Roach gewesen war.
***
Es war Mitternacht, als ich den Türklopfer in die Hand nahm, der die Form eines Löwenkopfes hatte. Eine Klingel konnten wir nirgends entdecken.
»Ich habe es dir gleich gesagt, dass er nicht zu Hause sein wird«, meinte Phil.
Ich nahm den Löwenkopf noch einmal in die Hand und rammte ihn gegen die Tür, dass es wie ein Gewehrschuss krachte. Das tat ich drei-, viermal, und das Ergebnis war, dass endlich Licht aufflammte. Gleich darauf öffnete sich auch die Tür.
Ich hätte dem Burschen, der herauskam, nicht einmal ein schmutziges Hemd für die Wäscherei anvertraut, und schon gar keine Villa wie diese. Er war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, reichlich sechs Fuß groß und runde zweihundert Pfund schwer. Er gehörte zu den Typen, die sich allein auf ihre Muskeln verlassen. Das merkten wir, als er mich mit einer klobigen Pranke an den Aufschlägen meines Mantels packte und mit dem Rücken gegen den linken Flügel der Tür nagelte.
»Bist du besoffen?«, raunzte er mich an. Dabei kam die Whiskyfahne aus seinem Mund. »Hier
Weitere Kostenlose Bücher