0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
umzubringen?«
»Mich? O ja!«
»Bitte?«, entfuhr es mir überrascht.
Sie verdrehte die Augen.
»Finden Sie sich nicht manchmal auch selbst ekelhaft? Mir geht es jedenfalls so. Manchmal wünschte ich, ich wäre nie auf diese Welt gekommen!«
»Könnten Sie sich denken, daß jemand Ann Roach umbringen wollte?«
»Himmel, nein! Ann ist manchmal ein bißchen leichtsinnig, aber sie ist eben jung und hat noch kein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl.«
Jung. Sie war doch selbst genauso jung. Ihre Antworten waren mir zu glatt.
»Besitzen Sie eigentlich eine Schußwaffe, Miß Musgrave?«
»Ich? Was für Schußwaffen?«
»Zum Beispiel ein Gewehr.«
»Eins? Ich habe vier.«
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre von meinem Stuhl hochgefahren wie eine Rakete.
»Ach, sagen Sie das doch noch einmal!«
»Ich habe vier Gewehre«, wiederholte sie. »Ich bin Sportschützin. Im vorigen Jahr wurde ich Vierte bei den College-Meisterschaften im Bundesstaat New York.«
»Haben Sie die Gewehre mit ins College gebracht?«
»Nur eins.«
»Können Sie es beschreiben?«
»Selbstverständlich.« Sie beschrieb das Kleinkalibergewehr, das wir auf der Galerie gefunden hatten. Auch die beiden mit Silber eingelegten Buchstaben erwähnte sie.
»Wo ist das Gewehr jetzt?«
»In meinem Kleiderschrank eingeschlossen. Jedenfalls war es da, als ich um halb sieben heute abend mein Zimmer verließ.«
»Wo ist der Schlüssel zum Kleiderschrank?«
»In der Fächertasche, in der ich meine Strümpfe aufbewahre. Die Tasche liegt in der obersten Schublade der Kommode.«
»Wo waren Sie, als Lis Triggling erschossen wurde?«
»Auf der Toilette.«
»Haben Sie einen Zeugen dafür?«
»Ich glaube kaum. Ich bin von meinem dritten Geburtstag an immer allein zur Toilette gegangen.«
Spielte s'ie nur so naiv? Sie saß ganz schön in der Tinte, und sie hätte klug genug sein können, um das zu wissen. Sie besaß das Gewehr, das wahrscheinlich die Mordwaffe war, und sie konnte damit umgehen. Und im Augenblick der Tat war sie angeblich auf der Toilette. Aber gleich daneben begann die Treppe, die hinauf zur Galerie führte, wo wir das Gewehr gefunden hatten.
Ich schob ihr mit dem Fingernagel ein Hochglanzfoto hin, das wir für diesen Zweck zurechtgelegt hatten.
»Bitte, sehen Sie sich diesen Mann genau an. Kennen Sie ihn?«
Sie nahm das Foto in die Hand und betrachtete es genau, bevor sie es mit einem bedauernden Achselzucken zurücklegte.
»Ich habe ihn nie gesehen.«
Das hatten wir nicht anders erwartet. Sie konnte den Mann praktisch nicht gesehen haben, denn der Abgebildete war seit mehr als zwanzig Jahren tot. Ich wollte gerade meine nächste Frage stellen, als Detective Sergeant Hippie leise hereinkam und mir ein Blatt Papier hinschobr Ich beugte mich darüber und las:
»Barbara Musgrave, Studentin im Hunter College. New York City, wurde am 11. Dezember 1964 wegen Überschreitung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit im Stadtgebiet zu zwanzig Dollar Geldstrafe verurteilt. Benutztes Fahrzeug: Grauer Pontiac, Zulassung Connecticut, Kennzeichen: 1-CA357. Eigentümer des Fahrzeuges: Barbara Musgrave, zur Zeit Hunter College, New York City, geboren am 22. Oktober 1937. Auskunft: New York City Police, Archiv.«
Ich hob langsam den Kopf. Geboren am 22. Oktober 1937. Geboren am 22. Oktober 1947. Barbara Musgrave. Sie sah mich interessiert an. Ich überlegte ein paar Sekunden. Dann fragte ich sie ganz nebenbei:
»Würden Sie so freundlich sein, meinem Kollegen Ihr Gewehr zu zeigen?« Sie verriet durch nichts, ob diese Bitte für sie irgend etwas bedeutete. Ohne auch nur für einen Herzschlag zu zögern, nickte sie.
»Gem. Soll ich es holen oder —«
»Ich gehe mit«, sagte Phil.
Sie verließen zusammen das Zimmer. Ich zeigte auf die Hochglanzfotografie: »Los, Ambers, lassen Sie sofort ihre Fingerspuren auf dem Foto sichern. Und dann per Bildfunk an die Zentrale Fingerabdruckkartei des FBI in Washington. An die Staatspolizei in Connecticut. An die Stadtpolizei in Westport. Es sollte mich wundern, wenn wir mit der Dame nicht noch einige Überraschungen erleben.«
Die Überraschungen waren uns sicher. Aber sie fielen anders aus, als wir sie erwartet hatten. Ganz anders…
***
Phil mußte, schon allein wegen der Länge des Weges, einige Zeit brauchen, bis er mit dem Mädchen zurück im Büro sein konnte. Ambers beschäftigte sich selbst mit der Sicherung der Fingerspuren auf dem Foto. Ich wollte nicht nur herumsitzen und
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