0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
die Lampe halten?«
Er stocherte mit einem Stück Draht eine Weile im Schloss herum, bis wir es quietschen hörten. Danach ging die Tür auf. Wir traten hinaus auf die Galerie.
Sofort spürte ich einen scharfen Luftzug. Ich sah mich um. In einer Höhe von etwa zwei Metern lief an der ganzen Wand eine Reihe von Kippfenstern entlang, und alle waren geöffnet. Die Fenster waren nicht größer als fünfzig Zentimeter, und in ihrer Stellung war es völlig ausgeschlossen, daß ein größeres Wesen als eine Katze hätte hinaus- oder hereinkriechen können. Vorn zur Brüstung hin gab es zwei durchlaufende Bankreihen. Phil bückte sich gerade zwischen die beiden Reihen.
»Komm mal her, Jerry«, rief er halblaut.
Ich war im Nu bei ihm. Auf dem Boden zwischen den Bänken lag ein hübsches, gepflegtes Kleinkalibergewehr. Phil leuchtete es mit der Taschenlampe ab. Auf dem Schaft befanden sich zwei mit Silber eingelegte Initialen: B M.
Mir fiel das Mädchen mit der Pferdeschwanzfrisur ein, das Mädchen, das so gut über Gewehrkaliber Bescheid wußte: Barbara Musgrave.
***
Ich schrieb etwas auf einen Zettel und schob ihn Jack Hippie hin. Der Sergeant las die kurze Notiz, nickte mir zu und ging hinaus. Lieutenant Ambers hockte in der hintersten Ecke breit und gewichtig auf einem Drehstuhl, der für seine Körpergröße viel zu winzig war. Phil lehnte mit verschränkten Armen an der Wand neben dem Fenster.
Barbara Musgrave saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch, mir genau gegenüber. Sie trug noch immer, das dunkelblaue Abendkleid mit dem rechteckigen Ausschnitt. Ihre Pferdeschwanzfrisur wurde von einem breiten Band in den Farbe des Kleides zusammengehalten. Nur wenn man sehr genau hinsah, konnte man erkennen, daß sie raffiniert geschminkt war.
Ihre braunen Augen hatten uns aufmerksam gemustert. Aber sie verriet nicht mit einem Wimperzucken, ob sie nervös war oder nicht, schuldig oder unschuldig.
»Zunächst die Personalien«, sagte ich gleichmütig. »Würden Sie uns Ihren vollen Namen sagen. Geburtstag, Wohnort und so weiter.«
»Ich heiße Barbara Musgrave, wurde am 22. Oktober 1947 geboren und —«
»Wo?« unterbrach ich. »Wo wurden Sie geboren?«
»In Westport, Connecticut.«
»Danke. Wo wohnen Sie? Ich meine, wenn Sie nicht hier im College sind?«
»In Westport.«
»Gut. Und die genaue Anschrift?«
Sie zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dennoch fiel es uns allen auf.
»Seit zwei Jahren wohne ich bei den Eltern von Ann Roach.«
Ambers’ Drehstuhl knarrte, als der Lieutenant eine zu heftige Bewegung machte. Phil drehte sich um und tat, als blickte er zum Fenster hinaus. Ich gab mir Mühe, mein gleichmütiges Gesicht beizubehalten.
»Wie kommt das? Daß Sie bei den Eltern von Miß Roach wohnen?«
Sie hielt meinem Blick nicht stand, sondern tat, als hätte sie ihren Rock zurechtzuzupfen. Dabei erwiderte sie: »Es sind entfernte Verwandte von mir. Als beschlossen wurde, daß Ann und ich dasselbe College besuchen sollten, zog ich zu Anns Eltern. Ann und ich verstanden uns gut, und wir wollten auch in den Ferien zusammen sein. Schon weil wir uns dabei gegenseitig in einigen Fächern helfen konnten, wo einer von uns schwach war.«
»Sie bezeichnen das Verhältnis zwischen Ihnen und Ann Roach als gut? Gab es keine Spannungen? Streit? Etwas dergleichen?«
»Kaum, vielleicht manchmal eine kleine Verstimmung, aber nie etwas Ernstliches.«
»Können Sie sich denken, weshalb wir uns mit Ihnen unterhalten?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Es werden doch alle verhört. Da müssen Sie doch auch mit mir sprechen.«
»Richtig. Haben Sie irgendeine Vermutung, warum Lis Triggling ermordet wurde?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer. Um ganz ehrlich zu sein: Es gibt ein paar Mädchen, bei denen ich es hundertmal .eher für möglich gehalten hätte. Manche sind geradezu unausstehlich. Egoistisch, verwöhnt und was weiß ich noch. Aber Lis? Nein, da kann ich mir beim besten Willen kein Motiv denken.« Zweiundzwanziger Kaliber, dachte ich, Motiv — sie wirft mit Fachausdrücken reichlich geläufig um sich. Irgendwas an ihr stimmt nicht. Aber was?
»Können Sie sich einen Grund denken, warum jemand ein anderes Mädchen umbringen sollte?«
»Du lieber Himmel, nein, so habe ich es doch nicht gemeint. Selbst die unausstehlichsten Geschöpfe bringt man ja nicht gleich um, nur weil man sich ab und zu über sie ärgert.«
»Könnten Sie sich einen Grund denken, warum jemand das Verlangen haben sollte, Sie
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