0449 - Der Tod im Mädchen-Pensionat
ihre Einladung aus dringenden dienstlichen Gründen an mich hatte weitergeben müssen, und sie nahm es huldvoll zur Kenntnis. Ein einziger Blick aus ihren grauen, intelligenten Augen befahl ein rothaariges Mädchen in einem grünen Kleid herbei.
»Ann, ich möchte dir Mr. Cotton vom FBI vorstellen. Mr. Cotton, das ist Ann Roach. Ann wird sich ein wenig um Sie kümmern, bis Sie sich ausreichend akklimatisiert haben.«
»Sehr liebenswürdig«, sagte ich.
Was zum Teufel, hatte den Chef bloß bewogen, ausgerechnet mich als Salonlöwen loszujagen? Ann Roach machte mich mit drei Dutzend Leuten bekannt, deren Töchter diese Schule besuchten. Die meisten Namen kannte ich schon aus den Wirtschaftsberichten der großen Zeitungen. Ein berühmter Schriftsteller mit seiner Frau war auch dabei, und selbstverständlich fehlten ein paar politische Größen nicht.
Mit der Zeit und nach einigen auserlesenen Drinks fand ich heraus, dass die Leutchen hier letzten Endes auch bloß Menschen waren, und von da an fühlte ich mich etwas behaglicher.
Ann Roach strahlte mich aus seegrünen Augen an, lachte über meine Späße, die ich mir mühsam genug einfallen ließ, und schleppte mich von einer Gruppe zur anderen. Sie stellte mich nahezu allen Schülerinnen vor, und schließlich .fing die Geschichte an, mir Spaß zu machen. Als ich gefragt wurde, ob ich schon mal einen richtigen Gangster verhaftet hätte, sagte ich mit todernstem Gesicht:
»Sogar zwei.«
Und von dem Augenblick an kam ich mir beinahe selber wie ein richtiger Held vor. Die Mädchen waren ausnahmslos nett, keineswegs arrogant, und ich nahm mir vor, in Zukunft mit weniger Vorurteilen der High Society gegenüberzutreten. Ann deckte mich am kalten Buffet reichlich mit Leckerbissen ein, grinste dabei verschmitzt und flüsterte mir ins Ohr.
»Essen Sie ein bißchen langsam, ja? Dann fällt es nicht so auf, welche Mengen ich in mich hineinstopfe. Zweimal im Jahr pfeife ich auf die schlanke Linie.«
Ich ließ mich zu einer geistvollen Bemerkung hinreißen, daß ein Mädchen mit ihrer Figur auf alles pfeifen könnte. Sie vernahm es offenbar gern.
Zwanzig Minuten vor neun mussten wir an der Tafel Platz nehmen. Die üblichen Begrüßungsreden wurden gehalten. Ann flüsterte mir bissige Kommentare über jeden Redner zu. Ich war heilfroh, dass ich mich nicht auch hinter das Mikrofon zu stellen hatte.
Abgesehen von den wie immer zu langen Reden hätte es tatsächlich noch ein gemütlicher, zwangloser Abend werden können. Aber dann kam die Geschichte mit dem Square Dance.
Der Musiklehrer, ein schmächtiges Männchen mit einem viel zu großen Charakterkopf, berichtete enthusiastisch, daß es ihm gelungen sei, einen fast schon vergessenen Volkstanz wiederzuentdecken. Es handelte sich um irgendeine Hüpferei aus den Pioniertagen, die wer weiß welche Leute aus Europa mit nach Pennsylvania gebracht haben sollten.
Das Hunter College, so berichtete der Charakterkopf, hätte es schon immer für eine seiner großen und verpflichtenden Aufgaben gehalten, die Kultur dieser großen, jungen Nation… und so weiter.
Neben mir scharrte ein zurückgezogener Stuhl. Ann Roach war aufgestanden.
»Was ist los?« fragte ich leise.
»Wir müssen jetzt dieses Dings aus Pennsylvania tanzen«, raunte sie mir zu. »Sowas läßt sich unser verhinderter Beethoven nicht entgehen. Später können wir aber etwas Vernünftiges miteinander tanzen. Okay?«
Ich nickte, aber ich dachte mit leiser Beklemmung daran, was sie wohl unter vernünftig verstand. Ein paar Minuten verwickelte mich eine weißhaarige Dame in ein Gespräch darüber, wie herrlich es doch sei, diese herrlichen Mädchen in einer so herrlichen Schule zu wissen.
Dann ging plötzlich alles Licht aus, und ein einzelner roter Scheinwerfer strahlte auf die Mitte der Tanzfläche. Urplötzlich gab es dort ein imitiertes, aber richtig knisterndes Lagerfeuer. Bärtige Männer in fransenbehangener Pionierkleidung tauchten auf.
Die Mädchen gesellten sich in knöchellangen weiten Röcken dazu. Das Scheinwerferlicht wechselte von rot zu blau.
Banjoklänge kamen auf. Auf einem Waschbrett zauberte einer geschickt einen flotten Rhythmus.
Dann flammte der Scheinwerfer wieder auf.
Die Mädchen standen jetzt in drei Reihen den ebenso gestaffelten Männern gegenüber. Die vordersten beiden Reihen näherten sich, die anderen klatschten den Takt. Mit Stampfen und fröhlichem Jauchzen fanden sich die Paare, drehten sich, wirbelten durcheinander und hüpften
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