Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
nach Maddrax einging. Absichtlich hatte sie seinen Namen nach der Unterhaltung auf dem Plateau nicht mehr erwähnt, aber wenn der Schamane sie hier entdeckte, half kein Schweigen mehr. Dann würde er verstehen, dass sie ihm nur etwas vorspielte.
    Und dann?, dachte Aruula. Würde er mich dann zurück in die vierte Welt schicken und meinen Geist verdunkeln, so wie er Maddrax' Geist umnebelt? Oder würde er mich direkt hier als Yiet'zu töten lassen?
    Sie blieb stehen, als sie einen Schatten vor sich am Boden bemerkte.
    »Maddrax?«, flüsterte Aruula und ging neben ihm in die Knie. Er lag mit geschlossenen Augen auf der Seite, war anscheinend mitten in der Bewegung zusammengebrochen. Sein bärtiges Gesicht war staubbedeckt, die Lippen aufgesprungen. Tiefe Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. In einer Hand hielt er ein Stück Holz, das Aruula als Teil einer Krücke wiedererkannte. Sie wusste nicht, warum er sie zerbrochen hatte.
    Instinktiv griff Aruula nach seiner Hand und erschrak, als ihre Finger hindurch glitten und nichts außer dem kühlen Lehmboden berührten.
    »Maddrax, wach auf!«
    Er reagierte nicht. Aruula dachte an Makeje, der mit ihr im Traum gesprochen hatte. Warum gelang ihr das nicht auch?
    Frustriert stand Aruula auf. Sie konnte sehen, dass Maddrax dringend Wasser und Nahrung brauchte, aber selber nicht mehr in der Lage war, sich darum zu kümmern. Und hier stand sie, keinen Fußbreit von ihm entfernt und doch unfähig zu helfen.
    Ich muss etwas tun, dachte sie beinahe verzweifelt und drehte sich zur Gemeinschaftshöhle um. Wenn sie Maddrax nicht in ihre Welt holen konnte, vielleicht gab es eine Möglichkeit, etwas aus ihrer Welt in seine zu bringen.
    Aruula sah nach unten, als ihr Fuß gegen ein Hindernis stieß. Es war ein Teil der zerbrochenen Krücke. Instinktiv ging sie in die Hocke und griff danach. Ihre Finger schlossen sich um das Holz, das im gleichen Moment sein durchscheinendes Aussehen verlor und sich fest anfühlte. Sie ließ es los. Das Holzstück fiel nach unten; der Boden schimmerte hindurch.
    »Wenn ich es anfasse, hole ich es in meine Welt, Maddrax«, flüsterte Aruula, als könne er sie hören. »Warum kann ich dich nicht holen?«
    Fehlte ihr vielleicht die Kraft? War es so viel schwieriger, einen Menschen in die fünfte Welt zu holen als einen Gegenstand?
    Aruula dachte nicht weiter darüber nach. Sie wusste zu wenig über das Sipapu, um nach einer Erklärung zu suchen. Stattdessen ging sie zum Höhleneingang, hob Maddrax' Wasserschlauch vom Boden auf und füllte ihn aus einem dünnen Rinnsal auf, das es in beiden Welten gab. Dann nahm sie zwei Maisbrote und ging zurück in den Gang.
    Maddrax lag nicht mehr am Boden. Er hatte sich aufgesetzt und starrte aus blutunterlaufenen Augen auf die Wände. Seine Lippen bewegten sich, aber Aruula konnte nicht hören, was er sagte.
    Sie kniete sich direkt vor ihn, Brote und Wasserschlauch in den Händen.
    »Sieh mich an, Maddrax«, sagte sie. »Du musst mich ansehen.«
    Er betrachtete weiter die Zeichnungen an der Wand, während seine Finger mit dem abgebrochenen Holzstück spielten. Aruula wartete geduldig, bis sein Blick in ihre Richtung glitt, dann ließ sie Brot und Wasserschlauch los.
    Maddrax blinzelte überrascht. Für ihn musste es so aussehen, als seien die Gegenstände aus dem Nichts vor ihm gelandet. Normalerweise, das wusste Aruula, hätte ihn ein solches Rätsel fasziniert, aber jetzt wischte er den Wasserschlauch nur mit einer ärgerlichen Geste beiseite. Dabei glitt seine Hand durch die Brote, ohne auf Widerstand zu stoßen. Für ihn waren sie nicht vorhanden.
    Also kann ich nichts aus dieser Welt in die andere bringen, dachte Aruula, nur Dinge aus Maddrax' Welt in meine.
    »Natürlich«, sagte er plötzlich. Seine Stimme klang heiser, aber voller Euphorie. »Du hattest keine Ahnung, Billy Joe, deshalb hast du im falschen Gang gesucht. Wenn man aus Godsent, Alabama kommt, beschäftigt man sich wohl weniger mit den Gesetzen der Physik, was?«
    Er lachte und schüttelte den Kopf. »Das ist Offiziersbeleidigung, Corporal. Dafür könnte ich dich vors Kriegsgericht bringen… ach, vergiss es, pass lieber auf, wie ich das Geheimnis löse…«
    Aruula spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken lief. Ein Teil von ihr ahnte, dass er mit dem Toten am Höhleneingang sprach, ein anderer versuchte den Gedanken an seinen offensichtlichen Wahnsinn zu verdrängen.
    Vor ihr begann Maddrax zu pfeifen, ein schnelles, fröhliches

Weitere Kostenlose Bücher