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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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wider, als er eine Südstaaten-Ballade nach der anderen schmetterte. Battle Cry of Freedom, Yellow Rose of Texas und der unvermeidliche Dixie wechselten sich mit Amazing Grace und My Sweet Alabama Love ab. Gerade letzteres schien Billy Joe besonders zu genießen, denn wenn Matt richtig mitgezählt hatte, sang er es gerade zum achten Mal.
    »Ein bisschen mehr Abwechslung wäre vielleicht nicht schlecht«, murmelte er und türmte frischen Lehm neben sich auf. Der Holzpflock war glitschig und ausgefranst, als er ihn wieder in die Hand nahm. Er brauchte bald einen neuen.
    »Hast du eine Frau in Kalifornien?«, fragte Billy Joe. Er trank einen Schluck aus dem Wasserschlauch und reichte ihn an Matt weiter. Der wollte danach greifen, aber das Leder rutschte einfach zwischen seinen Fingern durch. Kopfschüttelnd nahm er ihn in die andere Hand.
    »Nein«, sagte er dann, »keine Frau in Kalifornien, dafür aber hier… unten vor der Höhle… sie…«
    Matt stutzte. Er versuchte sich an ihr Gesicht zu erinnern, an ihren Namen, aber so sehr er sich auch bemühte, da war nichts außer einer dumpfen Ahnung.
    Er war froh, als Billy Joes Stimme ihn ablenkte. »Ich habe eine Frau in Kalifornien.«
    »Tatsächlich? Ich dachte, du bist aus Alabama?«
    Billy Joe grinste. »Yessir, geboren in Alabama, wie mein Vater und dessen Vater vor ihm. Keiner von ihnen ist je weiter als fünfzig Meilen gereist, und ich… mich haben sie bis nach Virginia geschickt. Und da hab ich den Brief von Mary Ann bekommen.« Er kratzte sich seinen struppigen Bart. »Der Lieutenant hat ihn mir vorgelesen.«
    Matt legte sich auf den Bauch, um den Boden der Grube zu erreichen. Ein plötzlicher Schwindel ließ die Welt vor seinen Augen verschwimmen.
    »Lass mich raten«, sagte er. »Sie hat geschrieben, dass sie mit ihrer Familie nach Westen geht, und wenn du sie liebst, sollst du sofort nachkommen, sonst nimmt sie einen anderen. Und dann bist du desertiert.«
    »So ähnlich.«
    Matt schaufelte Lehm mit den Händen an die Oberfläche. »Wenn sie nicht bereit war, auf dich zu warten, war sie nicht die richtige Frau für dich, Billy Joe. Sei froh, dass du statt ihr etwas gefunden hast, das dein ganzes Leben verändern wird.«
    »Ich bin tot, Matt. Nichts wird mein Leben mehr verändern.«
    Seine Stimme klang seltsam hohl. Matt sah unwillkürlich zu dem Lehmhaufen, auf dem Billy Joe saß und ihm jetzt die blutigen Fleischklumpen entgegenhielt, die einmal Hände gewesen waren.
    »Als ich keine Fingernägel mehr hatte«, fuhr er in seinem breiten Südstaatendialekt fort, »habe ich mir die Zähne ausgeschlagen, um damit den Dreck aus den Steinen zu kratzen. So hat sich hier mein Leben verändert.«
    Billy-Joe grinste breit. Matt bemerkte zum ersten Mal seine fehlenden Schneidezähne und beugte sich ungerührt zurück in die Grube.
    »Wenn du besser nachgedacht hättest«, sagte er, »wäre dir das nicht passiert. Gib mir mal einen neuen Pflock.«
    Er nahm das Holzstück dankend entgegen und trieb es mit der Faust tief in den Boden.
    Über ihm lachte Billy Joe.
    Aruula stöhnte auf, als sie auf dem Boden aufschlug. Etwas Spitzes drückte unangenehm fest gegen ihre Kehle. Der Schmerz brachte sie vollends zu Bewusstsein. Sie schlug die Augen auf.
    Vier Krieger standen über ihr, die Speere in der Hand. Ihre Körper hatten sie mit Asche beschmiert, was sie in der Dunkelheit fast unsichtbar machte. Nur ihre Augen leuchteten weiß in den ernsten Gesichtern.
    Derjenige, der die Speerspitze gegen ihre Kehle drückte, zeigte auf den Gleiter, der jetzt wieder durchscheinend auf dem Plateau stand.
    »Was ist das für ein Zauber?!«, brüllte er.
    Die Lautstärke, in der er sprach, steigerte Aruulas Kopfschmerzen. Sie spürte eine pochende Beule auf ihrer Stirn und nahm an, dass einer der. Krieger sie mit dem stumpfen Ende seines Speers getroffen hatte.
    Ein anderes Zeichen wäre mir lieber gewesen, Wudan, dachte sie.
    »Es ist kein Zauber«, sagte sie dann ruhig, »nur eine Maschine.«
    Die Krieger sahen sich an. Es war klar, dass sie mit dem Wort nichts anfangen konnten.
    »Du willst uns verwirren, Yiet'zu!«
    Aruula erkannte den Krieger, der ihr die Worte entgegen schrie. Es war Narbengesicht, einer von Makejes Freunden.
    »Holt den Schamanen«, gab sie zurück. »Er wird euch erklären, dass ich kein Yiet'zu bin.«
    In dieser Lage war Makeje vielleicht ihre einzige Hoffnung. Die Krieger waren so nervös, dass die Speerspitze an ihrer Kehle zitterte. Wer auch immer die

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