045 - Das verschwundene Volk
genau an dem Höhleneingang vorbei geführt, hinter dem Maddrax sich in ihrer Welt befand. Sie hatte weder über ihn gesprochen, noch ihn zu sehen verlangt. Trotzdem wusste er nicht, ob sie sich wirklich mit der Situation abgefunden hatte oder ob ihre Gedanken in Wahrheit um die Flucht kreisten.
»Du solltest langsam lernen«, sagte er schließlich ausweichend. »Nur so wirst du wirklich verstehen.«
Aruula nickte. »Du hast Recht. Ich…«
»Ist es erlaubt einzutreten?«, unterbrach sie eine Stimme von oben.
Eri, dachte Makeje. Wie lange steht sie wohl schon am Eingang?
»Komm herein.«
Neben ihm stand Aruula auf und nahm sich einen leeren Korb.
»Soll ich noch mehr Kräuter holen?«, fragte sie, als Eri den Boden der Höhle erreichte. Sie sprach mit der teilnahmslosen Stimme eines Menschen, der unter einem geistigen Bann steht.
»Nein«, antwortete er. »Kehre zurück zu deiner Arbeit.«
Aruula machte einen Schritt auf die Leiter zu, aber Eri griff nach ihrem Arm.
»Ich möchte, dass sie bleibt«, sagte sie.
»Schließlich bin ich wegen ihr hier.«
Makeje begann nervös mit den Fransen eines Traumfängers zu spielen. »Ich habe bereits mit deinem Vater und dem Ältestenrat über die Fremde gesprochen. Es gibt nicht mehr zu sagen.«
Eri ließ Aruulas Arm los und stieß sie gegen eine Wand. Aruula fand ihr Gleichgewicht wieder, bevor sie stürzen konnte. Makeje bemerkte besorgt das Blitzen in ihren Augen.
»Du hast mich wegen ihr vor allen gedemütigt!«, schrie Eri so unerwartet, dass er zusammenzuckte. »Die anderen Frauen tuscheln hinter meinem Rücken. Sie sagen, dass du den ganzen Nachmittag mit ihr verbracht hast. Wie viele Nachmittage waren wir bereits zusammen? Ich kann es dir sagen: keinen einzigen!«
»Er hat mir die Kräuter gezeigt«, sagte Aruula.
»Du solltest ihr lieber den Weg zurück in die vierte Welt zeigen.« Eri strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Mein Vater liebt dich wie einen Sohn, nur deshalb lässt er dich gewähren. Aber glaube nicht, dass er zusehen wird, wenn du das Eheversprechen, dass ihm dein Vater gegeben hat, brichst. Diese…«, sie machte eine abfällige Handbewegung, als gäbe es kein Wort, mit dem sie Aruula beschreiben könne, »… wird dich in den Abgrund stürzen. Denke daran, wen dein Vater als deine Frau sehen wollte, und entscheide, was du tun wirst.« Makeje öffnete den Mund, aber Eri wandte sich ab und stieg die Leiter empor. Aruula sah ihr nach, bis sie verschwunden war, dann drehte sie sich zu ihm.
»Du bist ihr versprochen?«, fragte sie.
Makeje hob die Schultern. »Seit meinem vierten Lebensjahr. Ich glaube, sie liebt mich wirklich, und ich dachte, ich würde sie…« Er strich sanft mit den Fingerspitzen über Aruulas Arm. »Ich habe mich wohl geirrt.«
Sie trat einen Schritt zurück und sah hinauf zur Luke. »Es ist spät geworden. Ich gehe besser in meine Höhle.« Makeje hielt sie nicht auf.
Sie braucht Zeit, dachte er. Die alte Welt wird sie schnell vergessen, wenn Maddrax erst einmal tot ist.
Und das, so viel war ihm klar, war höchstens noch eine Frage von ein paar Tagen…
Es war wirklich spät geworden, erkannte Aruula, als sie über die Dächer des Dorfes kletterte. Nur vereinzelt sah sie Stammesmitglieder, die von einer Höhle zur anderen gingen, sie aber nicht beachteten. In der Dunkelheit war sie von den anderen kaum zu unterscheiden.
Aruula sah sich kurz um, dann stieg sie über einige Leitern nach unten zur Gemeinschaftshöhle. Ersterbende Lagerfeuer tauchten den Raum in ein rötliches Licht. Anscheinend hatten sie und Makeje das Abendessen verpasst, was dem Stamm zweifellos Anlass für weitere Spekulationen geben würde.
Aruula konzentrierte sich, versuchte an den Felsen vorbei zu sehen und ihre eigene Welt zu erkennen. Langsam schoben sich die Bilder übereinander. Sie zuckte zusammen, als sie die durchscheinende Leiche eines grau gekleideten Mannes an einer Wand lehnen sah. Als sie das letzte Mal in der Höhle gewesen war, hatte er noch nicht dort gesessen. Also musste ihn jemand dorthin gebracht haben.
Maddrax?, fragte sie sich und ging tiefer in die Höhle hinein.
Das Licht ließ nach, aber Aruula wagte es nicht, eine Fackel zu entzünden. In den verwinkelten Gängen konnte sie nicht abschätzen, wie weit der Feuerschein zu sehen sein würde, und sie war sicher, dass der Häuptling Wachen postiert hatte. Zumindest hätte sie das an seiner Stelle getan.
Aruula dachte an Makeje und das Risiko, das sie mit ihrer Suche
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