0455 - Der Zeit-Zauberer
der ersten Begegnung eine rätselhafte Abneigung gegen Julian entwickelte, hatte ohne Warnung zugeschlagen. Daß er Julian damit nicht getötet hatte, lag nur an dessen magischer Stärke, die sogar Zamorra überrascht hat - und vielleicht auch Julian selbst.
Woran diese plötzliche Aggressivität lag, konnte Zamorra sich nicht erklären. Ein kurzes Gespräch mit Teds Freundin Carlotta brachte ihn auch nicht weiter - im privaten Bereich zwischen ihnen beiden, war er nach ihrer Aussage völlig unverändert. Seine Aggressivität erwachte stets nur, wenn es um schwarzblütige Wesenheiten oder auch um die diversen Belange der Zamorra-Crew ging.
Doch das war es nicht allein, was Zamorra Sorgen machte. Es ging ihm auch um die Verletzung, die der Reporter sich kürzlich zugezogen hatte. Ein Höllenvogel hatte ihn mit einem Schnabelhieb am rechten Arm verletzt. Die Wunde schien nicht heilen zu wollen. Aber seit damals hatte Zamorra die Verletzung selbst nicht mehr gesehen; Ted hielt sie unter einem festen Verband verschlossen und beantwortete alle Fragen nach seinem diesbezüglichen Befinden ausweichend. Dennoch war Zamorra überzeugt, daß etwas nicht stimmte. Ted besaß eigentlich ein recht gutes Heilfleisch; eine Fleischwunde wie diese konnte ihn nur ein paar Tage belasten. Aber das hier war nicht mehr normal.
Wäre Teds Aggressivität erst jetzt aufgetreten, hätte Zamorra sie auf den Schnabelhieb des schwarzen Höllenvogels geschoben und vermutet, daß der Freund mit einem dunklen Keim infiziert worden war, der ihn so zum Negativen beeinflußte. Aber die Veränderung seiner Psyche hatte schon lange vorher begonnen. An dem Schnabelhieb konnte es also nicht liegen.
Dennoch täte Ted sicher gut daran, die Wunde nicht nur ärztlich, sondern auch weißmagisch behandeln zu lassen. Mit solchen Dingen war nicht zu spaßen.
Andererseits konnte Zamorra Ted nicht zu seinem Glück zwingen, solange er nicht wirkliche Schwächeerscheinungen zeigte. Zamorra hatte Carlotta darum gebeten, auf solche Anzeichen zu achten und ihn sofort zu alarmieren, wenn Ted etwas geschah. Er selbst wollte sich nun nach dem letzten Abschied, der einem Hinauswurf gleichkam, nicht mehr weiter »aufdrängen«.
Statt dessen versuchte er, die derzeitige Ruhe zu genießen. Wer wußte schon, wie lange sie andauern würde?
Sid Amos war so spurlos wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war, der Fürst der Finsternis zeigte momentan keine Aktivitäten, und die Druiden Teri und Gryf schienen sich wieder einmal irgendwo in der Welt herumzutreiben. Von Robert Tendyke war eine kurze telefonische Nachricht aus den USA gekommen, daß es ihm gut gehe, er dabei sei, ein paar Probleme zu lösen und ein ausführlicher Bericht demnächst folge, sobald er Zeit und Muße dazu finde.
So schaffte Zamorra es, etwaige Probleme zu verdrängen. Die Freunde kamen auch ohne ihn zurecht. Er konnte ausspannen, was er sich nach längerer Zeit wieder einmal verdient hatte.
Die extreme, langanhaltende Hitzewelle half ihm dabei und motivierte ihn zum Nichtstun. Die einzige freiwillige Verpflichtung waren die täglichen Trainingsstunden im Fitneß-Center in den unteren Räumen des Châteaus, wo er vorwiegend Reaktionstraining machte und sich gemeinsam mit Nicole in den Künsten der waffenlosen Selbstverteidigung übte, um keine Griffe zu vergessen.
Danach konnte man sich unten an der Loire entspannen. Es gab einen Platz an einer Flußbiegung, den Zamorra und Nicole nicht zum ersten Mal aufsuchten. Hier waren sie für sich allein, von Strauchwerk geschützt, und konnten in der Loire schwimmen, am Ufer in der Sonne liegen, am Lagerfeuer grillen und nach Stunden voller Glück und leidenschaftlicher Liebe unter freiem Himmel in tiefen Schlaf sinken. Das leise Rauschen des Wassers störte sie nicht. Einmal zwischendurch erwachte Zamorra, spürte Nicole neben sich und sah über sich die Pracht der funkelnden Sterne. Er dachte an Begegnungen mit Wesen, die nicht von dieser Erde kamen, sondern von dort oben, und er wünschte sich, daß die Menschheit weniger Geld für todbringende Waffen ausgeben möchte und dafür mehr in die Weiterentwicklung der Weltraumfahrt. »Eines Tages«, flüsterte er, »werden wir Menschen dort zwischen den Sternen fliegen wie heute im Luftraum der Erde, und ich würde alles darum geben, noch dabei sein zu können.«
Nicole lächelte im Schlaf, als habe sie sein leises Flüstern gehört, und schmiegte sich enger an ihn. Ihre Hand glitt über Zamorras Brust
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