0456 - Der Geisterseher
fürchterlichen Krieg trieb und den verlor.«
»Kriege sind nicht gut«, sagte Don Cristofero. »Wer Krieg führt, ist dumm. Er zeigt damit der Welt, daß er unfähig ist, zu denken und bessere Wege zu finden. Aber das ist nicht mein Problem. Der König entscheidet, ob er einen Krieg führen muß oder nicht. Manche Kriege werden einem auch aufgezwungen. Gegen wen hat Napoleon denn gekämpft?«
»So ziemlich gegen jeden auf diesem Kontinent. Gegen die Engländer und die Russen zum Beispiel…«
»Dann war er kein guter Feldherr. Gegen die Russen zu kämpfen, ist Narretei, und die Engländer sind verräterische Hunde und Ränkeschmiede, die man nur mit ihren eigenen Waffen schlagen kann. Sie weigern sich ja sogar, französisch zu sprechen, und sie schicken ihre Piraten im Staatsauftrag auf Kaperfahrt! Traut nie einem Engländer, kehrt ihm nie Euren Rücken zu. Er könnte einen Dolch hineinstoßen«, warnte Don Cristofero, der einerseits am französischen Königshof ein- und ausgegangen war und der zum anderen die Niederlage der Spanischen Armada gegen die Briten auch nie vergessen hatte.
Zamorra grinste.
»Wenn Ihr lange genug in unserer Zeit bleibt, Don Cristofero, solltet Ihr die Gelegenheit nutzen und den Tunnel unter dem Ärmelkanal besichtigen, der jetzt Frankreich und Großbritannien miteinander verbindet.«
» Was? « schrie Don Cristofero, wollte aufspringen und wurde vom Sicherheitsgurt festgehalten, ehe er sich den Kopf am Dachhimmel des BMW stoßen konnte. »Was? Ein Tunnel unter dem Wasser? Eine feste Verbindung? Aahhrg, so weit hat euch also eure Demokratie schon geführt! Ihr liefert euch dem Feind aus! Ist euch nicht klar, daß sie durch diesen Tunnel Truppen schicken können? Hoffentlich seid ihr Neuzeitmenschen so schlau gewesen, Möglichkeiten zu schaffen, daß dieser Tunnel geflutet werden kann, wenn die Engländer darin stecken! Andererseits«, er begann zu grinsen, »könnte man natürlich ganze Scharen von Ratten und wilden Hunden durch den Tunnel nach England jagen!«
Er atmete tief durch.
»Es wird Zeit, daß ihnen jemand ihre Grenzen zeigt. Sagt, was ist aus der Neuen Welt geworden? Dieses Land jenseits des Ozeans, dieses Neuindien oder Amerika? Da haben sie sich doch auch breitgemacht, die Rotröcke, und die arglosen primitiven Eingeborenen auf unsere glorreichen Soldaten und Siedler gehetzt.«
Zamorra lächelte.
»Amerika spricht heute englisch«, sagte er.
Don Cristofero ballte die Fäuste. »Meinen Degen!« herrschte er Zamorra an. »Gebt ihn mir! Ich muß mich hineinstürzen! Die Neue Welt englisch! Unfaßbar! Eine Katastrophe…«
Zamorra konnte ihn erst beruhigen, als er ihm glaubhaft versicherte, daß als zweitstärkste Sprache Spanisch galt. So stark verbreitet, daß zum Beispiel in New York Spanisch zur zweiten Amtssprache geworden war.
Schließlich waren sie wieder in Heimatnähe. Zamorra holte die abonnierten Zeitungen im Dorf ab und lenkte den BMW dann wieder die Serpentinenstraße hinauf.
Château Montagne war eine Mischung aus Schloß und Burg, wurde von einer Schutzmauer weiträumig umgeben und besaß sogar einen Burggraben. Der war natürlich nie mit Wasser gefüllt gewesen; bei einer Anlage am Berghang eine schlichte Unmöglichkeit. Aber man kam nur über eine hölzerne Zugbrücke in den Innenhof und somit ins Château.
Wenn besagte Zugbrücke heruntergelassen war.
Zamorra konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt hochgezogen worden war. Er hätte sich nicht gewundert, wenn die gesamte Mechanik, die mittlerweile über einen Elektromotor lief, der aber kaum jemals benutzt wurde, so eingerostet war, daß überhaupt nichts mehr ging.
Eben das machte die Sache so erstaunlich.
Das Tor war zu und die Zugbrücke hochgezogen.
***
Nicole tastete die Ziegelmauer ab. Fest, massiv. Der Mörtel hart. Aber, zum Teufel, das war unmöglich. Zamorra hatte in der Nacht neben ihr gelegen und geschlafen, und da er nicht mehr im Zimmer war, konnte die Tür erst später zugemauert worden sein. Dann wäre der Mörtel aber noch nicht hart, so daß die Wand sich hätte mit entsprechendem Druck wieder öffnen lassen.
»Hier spukt's ja böse«, stieß Nicole hervor. »Na warte, Gnom! So was wie du gehört auf den Scheiterhaufen…!«
Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Wand, drückte - nichts geschah. Die Ziegelmauer in der Tür blieb fest. Nicole seufzte. Durchs Fenster zu klettern schied aus. Der feste Boden war zu tief unter ihr. Sie konnte über die Sprechanlage Raffael
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