0461 - Lupina gegen Mandragoro
will.«
»Nein, nicht erinnern kann. Ich lebe in zwei Existenzen. Es ist furchtbar. Ihr könnt euch nicht ausmalen, wie ich darunter leide. Deshalb müßt ihr mir schon glauben.«
»Was wir hiermit auch tun«, sagte ich und nickte ihr zu. »Du hast mich zwar nicht überzeugt, Morgana, aber ich lasse mich trotzdem von dir führen.«
»Danke, John, es ist nicht weit.« Sie drehte sich um und tauchte ein in die dunstige Düsternis des Waldes. Suko und ich schalteten die Lampen ein. Der Weg bot zu viele Stolperfallen, als daß wir ihn hätten noch mal gehen können.
So tanzte der Lichtstrahl durch die Finsternis und glitt auch über die kahlen Bäume, so daß sie manchmal aussahen wie starre Geister. Wir versuchten, so wenig Geräusche zu machen wie notwendig. Jeder von uns wollte so spät wie möglich entdeckt werden.
Die Umgebung veränderte sich nicht. Sie blieb düster, tot, unheimlich, gezeichnet von einem stillen Grauen, das wie ein mörderisches Gift durch den Wald gezogen war.
Hier herrschte Mandragoro. Ein unheimlicher Dämon. Ein Legendenbilder, Herrscher des Waldes, möglicherweise ein Rest des geheimnisvollen Druidenlandes Aibon, das zwischen den Zeiten liegt und dessen Rätsel bisher noch nicht gelöst worden waren.
Mandragoro sahen wir nicht, aber ich glaubte, daß er uns beobachtete. Er war überall. Sein Geist steckte in jedem Zweig, in jedem Ast und auch in der zerstörten Pflanzenmasse, über die wir unsere Schritte lenkten.
Manchmal schraken wir zusammen. Da war irgendwo in der für uns nicht sichtbaren Umgebung ein leises Knacken ertönt, als hätte jemand einen Ast mitten durchgebrochen. Automatisch leuchteten wir in die entsprechenden Richtungen, sahen aber nie etwas. Nur Dunstschwaden, die lautlos durch die Lampenstrahlen trieben.
Morgana blieb stehen. Astgeflecht und Baumstämme umgaben uns wie ein kahler Dschungel.
»War es hier?« fragte ich. »Ja.«
»Ich sehe nichts«, flüsterte Suko.
Morgana bewegte den Kopf. »Das ist seine Art. Er zeigte sich nur, wenn er es wollte. Ich finde es furchtbar.«
»Vielleicht lebt sie nicht mehr.«
Nach meiner Bemerkung zuckte Morgana Layton zusammen. »Das wäre nicht gut.«
»Für uns ja«, erwiderte ich lakonisch.
»Aber Fenris würde…«
»Was würde er? Will er sich nicht mit Mandragoro beschäftigen? Das wäre doch etwas für ihn. Schließlich ist Lupina sein Schützling, und du bist es irgendwie auch.«
»Du stehst nicht auf unserer Seite, John!«
»Ist das so ungewöhnlich?«
Morgana hob die Schultern und ging weiter, ohne sich um uns zu kümmern. Als ich ihr folgen wollte, legte mir Suko eine Hand auf die Schulter. »John, du solltest nicht so hart reagieren.«
»Ich kann das Grauen nicht vergessen, das Lupina über uns gebracht hat. Sie und die Mordliga sind mir noch in verdammt guter Erinnerung.« Nach diesen Worten setzte ich meinen Weg fort.
Trotz der Finsternis fanden wir unseren Weg relativ leicht, bis der Schrei schaurig aufgellte.
Morgana hatte ihn ausgestoßen. Wir sahen ihren wie erstarrt stehenden Körper schwach im Licht der Lampe.
»Was ist?« rief Suko.
»Kommt, kommt…«
Suko war schneller als ich und stand als erster neben Morgana Layton. Als ich stehenblieb, sah ich ebenfalls, daß sich dieser Teil des toten Waldes verändert hatte.
Er leuchtete.
Es war ein blasses, fahles, leicht grau wirkendes Licht, und es besaß eigentlich keine Quelle, da es von überall herstrahlte.
Aus den Bäumen, dem Boden, vielleicht sogar vom Himmel. Es war das Licht Mandragoros, und es besaß, wenn man genauer hinschaute, einen grünlichen Schatten.
Nicht das Licht hatte Morgana zu diesem Schreckensschrei veranlaßt. Es war die Umgebung, die es anleuchtete, denn nun sahen wir beide Gegner direkt.
Auf der einen Seite Lupina, auf der anderen Mandragoro!
***
Dieses Bild mußte man erst begreifen, auf sich wirken lassen, denn es war trotz seines Grauens auf eine ungewöhnliche Art und Weise von einer großen Faszination.
Lupina hatte noch stärker gelitten. Sie wirkte wie ein Geschöpf, das eingefroren war. Das Maul weit aufgerissen, die Augen böse blickend und glanzlos, und das Gesicht zeigte eine Mischung aus Mensch und Werwolf.
Die Schnauze hatte sich bereits zur Hälfte gebildet. Der Unterkiefer zeigte den dichten Fellbewuchs, Lippen sahen wir nicht mehr. Die Nase erinnerte an einen Knorpel, die Augen glichen gelben Ausschnitten. Die Haare waren nach hinten gekämmt. Sie hatte zum Sprung angesetzt, war aber dicht über
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