0462 - Der Wissende
Bärenlippen und summte eine ihm selbst unbekannte Melodie. Er erfand sie einfach, so von einem Augenblick zum anderen.
Absichtlich lenkte er seine Schritte dicht an dem Gebüsch vorbei, in dem er den oder die Wächter vermutete, wahrscheinlich sogar seine Brüder, falls der Routineplan nicht geändert worden war.
Scheinbar arglos marschierte er dahin, die mächtigen Arme mit den Pratzen auf dem Hinterteil verschränkt, ein Bild der Harmlosigkeit für jeden, er ihn nicht kannte.
Grummel und Brummel kannten ihn, aber sie fielen immer wieder auf ihn rein.
So auch dieses Mal.
Mit fürchterlichem Gebrüll stürzten plötzlich aus dem Gebüsch und warfen sich auf den viel älteren Bruder, der sie um gut einen Meter überragte.
Immerhin vertrauten sie, wie stets, auf die Tatsache, daß sie zwei, er aber nur einer war.
Ein Trugschluß, wie sich - auch wie stets - herausstellte.
Trotter ließ sich einfach fallen und hätte seine beiden Widersacher zweifellos erdrückt, wenn er sich nicht schnell zur Seite gerollt und die beiden freigegeben hätte.
„Nun fragt nur noch nach dem Kennwort, und ich versohle euch das dicke Fell!" brummte Trotter gutmütig und stand auf.
„Ihr nehmt eure Aufgabe sehr ernst - mein Kompliment.
Ich werde es Vater berichten." Brummel rappelte sich mühsam auf, sah wütend aus. „Immer verdirbst du uns den Spaß, Trotter! Nur weil du älter bist, glaubst du auch der klügere zu sein."
„Ich bin es", sagte Trotter selbstbewußt.
Grummel kam auf allen vieren herbeigekrochen.
„Du hast mir weh getan", beschwerte er sich. „Sei doch nicht immer so grob!"
Trotter mußte lachen.
„Wie geht es zu Hause?" fragte er. „Seid ihr noch nicht verheiratet?"
„Bei dem Beispiel!" meinte Brummel anzüglich und sah seinen älteren Bruder frech an. „Heirate du doch erst mal!"
Trotter nahm seine beiden Brüder beim Nackenfell und stellte sie auf die Füße.
„Reden wir später über so ein schwieriges Thema.
Los, bringt mich zu Vater, Ich habe mit ihm zu sprechen. Alles wie immer bei euch in den Höhlen?"
„Unser Bruder Grimmi hat einen Sohn bekommen", berichtete Brummel, als sei das sein Verdienst. „Einen prächtigen Sohn!" Er sah Trotter von der Seite her an. „Ich möchte auch mal Onkel werden!"
Trotter marschierte los, denn das Thema war ihm peinlich. Und es war auch immer dasselbe. Warum nur alle wollten, daß er sich eine Frau nahm, wo es doch so schön in der alten Ruinenstadt war, allein und ohne Kinder, die nur Ärger verursachten ...?
Er begriff das nicht.
Natürlich hatte auch er manchmal das unwiderstehliche Verlangen, etwas anderes als Nahrungsmittel oder eine geschlagene Beute in seinen Hautsack zu stecken. Er hätte oft genug gern einen jungen Beutelbären darin gehabt, wie die anderen Väter, wenn sie die Mütter entlasteten. Aber lieber unterdrückte er das Verlangen, als nur deshalb eine Frau zu nehmen und Kinder zu kriegen.
Er war frei, und er würde frei bleiben, Als sie auf die Lichtung vor den Höhlen kamen, gab es ein großes Begrüßungszeremoniell. Vater und Mutter klopften dem Sohn mit ihren riesigen Pranken auf die Schultern, daß er fast zusammenbrach. Eine Tante begann, eine Frage nach der anderen zu stellen, ohne überhaupt Trotters Antworten abzuwarten.
Ein entfernter Onkel berichtete von seiner Wanderung über das Gebirge und wollte niemanden sonst zu Wort kommen lassen. Großvater, schon alt und gebrechlich, wollte mehr über die Ruinenstadt wissen; er hatte dort einige Jahre seiner Jugend zugebracht und schwelgte gern in Erinnerungen.
Trotter ließ das alles über sich ergehen, geduldig wie immer. Er wußte, daß es nicht ewig dauern würde. In einer Stunde hatten sie ihn wieder völlig vergessen, so als wäre er immer hier gewesen. Nachts würde er in der Höhle bei den Brüdern schlafen, morgen mit ihnen auf Jagd gehen und gegen Mittag wieder fortwandern.
Genau so geschah es dann auch. Jede Abweichung von der Norm wäre ein welterschütterndes Ereignis gewesen. Selbst der Versuch, ihn mit einer Beutelbärjungfrau zu verkuppeln, fehlte nicht.
Ausgerechnet Brummel mußte es versuchen. Er brachte, als es schon zu dunkeln begann, „rein zufällig", wie er behauptete, die junge Piepsi mit. Sie trug ihren Namen deshalb, weil sie eine besonders helle Stimme hatte, mit der sie die Junggesellen einzufangen versuchte.
Trotter fand die Stimme gräßlich, blieb aber höflich. Geduldig beantwortete er ihre dummen Fragen und ignorierte die Blicke seiner
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