0464 - Gemälde des Grauens
daneben seinen Platz gefunden hatte.
Mit zitternden Fingern zündete Antonio Vargas die Dochte der Kerzen an. Die Flammen fraßen sich in die Höhe, und ihr Licht traf auch die bemalte, viereckige Leinwand.
Es schien, als tauchten die Geschöpfe aus dem Tunnel einer anderen Zeit auf.
Sie waren furchtbar, häßlich anzusehen und gleichzeitig steckte in ihnen eine kaum beschreibliche Faszination. Vargas hatte sie so gemalt, als würden sie leben. Er hatte sich damals in einem wahren Rausch befunden. Die Ideen waren nur so gesprudelt, und manchmal hatte er auch den Eindruck gehabt, als würden die Geschöpfe, die aus seiner Hand stammten, irgendwann einmal leben oder Wirklichkeit werden.
Es zeigte vier Gestalten.
Die vier klassischen Gruselmonstren überhaupt.
Links oben der schreckliche Vampir mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Blutzähnen, die wie kleine Messer hervorschauten. Die Haut war von Vargas aschbraun gemalt worden, und die Augen lagen unter einem Blutrand verborgen.
Neben dem Vampir sah er das Gesicht einer Mumie. Eingefallen, kerbig, verzerrt, aber mit Augen, die dennoch böse blickten und das Wissen der Jahrtausende gespeichert zu haben schienen.
Unterhalb der Mumie hatte ein furchtbarer Werwolf sein Gebiß gefletscht. Das Monstrum sah aus, als wollte es dem Betrachter des Bildes im nächsten Augenblick die Zähne in den Hals schlagen.
Und noch ein viertes Geschöpf zeigte die Leinwand. Es war von Vargas links in die Ecke gequetscht worden. Sein Gesicht war leichenblaß. Antonio hatte lange die Farben mischen müssen, um diesen Farbton zu bekommen. Es war ihm schließlich gelungen, und so war dieser kantige Schädel mit der hohen Stirn entstanden, den der Maler als den Kopf des künstlichen Menschen bezeichnete.
Er stand da und betrachtete es. Seine Gedanken wanderten wieder. Vargas war durcheinander. Er wußte nicht, ob er sich mit der Zukunft oder der Vergangenheit befaßte. Plötzlich kam alles zusammen. Die Monstren schienen auf einmal zu leben, und im gleichen Moment hatte er eine Vision. Irgend jemand sagte ihm, daß die Geschöpfe zwar seiner Phantasie entsprungen waren, daß sie aber dennoch einmal so aussehen und leben würden, wie er sie gemalt hatte.
Vielleicht war er auch etwas Besonderes. Ein Mensch, der in die Zukunft blicken konnte, ohne es zu wissen. Diese Gabe existierte.
Weshalb sollte er nicht zu denjenigen Personen gehören, die damit ausgestattet waren.
»Ihr seid meine Monstren«, flüsterte er gegen die Flammen der drei Kerzen, die sich daraufhin zur anderen Seite hin neigten.
»Meine Geschöpfe, die ich erfand. Vielleicht werdet ihr der Welt noch einmal das Fürchten lehren. Ja, das glaube ich sogar. Aber ich darf es nicht soweit kommen lassen. Nein, ich muß mich dagegen wehren. Ich kann der Welt dies nicht zumuten. Ihr dürft nicht leben, ihr müßt sterben. Ihr müßt eingehen in andere finstere Reiche. Was meine Seele mir vorgeschrieben hat, darf in euch nicht so grausam existieren.«
Nach diesen Worten trat er noch einen Schritt näher an das Bild heran, so daß die drei Flammen es anleuchten konnten.
Die vier Monstren rührten sich nicht. Dennoch hatte Vargas das Gefühl, als würden sie leben. Es war kein normales Leben, nein, tief in ihrem Innern spielte sich etwas ab, das er mit Worten nicht erklären konnte. Da lauerte das Grauen.
Vargas zog sich zurück. Je länger er das Bild betrachtete, um so mehr hatte er den Eindruck, als würde es Macht über ihn bekommen. Er bekam auch den Eindruck, daß noch etwas mit diesem Gemälde war. Hinter ihm, nicht sichtbar für menschliche Augen, mußte ein schrecklicher Geist stehen. Einer, der alles beherrschte, auch die Menschen.
Vargas schüttelte sich, als hätte jemand Wasser über ihn gekippt.
Sein Gesicht war schweißbedeckt. Die dicken Lippen lagen fest aufeinander, ein Zeichen der Entschlossenheit.
Er hatte es sich einmal vorgenommen und würde es auch bis zum bitteren Ende durchführen.
Antonio Vargas trat an den eisernen Holzkorb heran, suchte einen Augenblick und hatte sich dann entschlossen, ein bestimmtes Stück Holz an sich zu nehmen.
Es war nicht so klobig wie die anderen. Dafür etwas länger und auch handlicher.
Dabei besaß es genau die Trockenheit, die er brauchte, um es schnell entflammen zu lassen.
Mit unbewegtem Gesicht schritt er auf den Kamin zu, in dem die Flammen tanzten. Feuer, das lebte und eine Botschaft für ihn, den Menschen, zu haben schien.
»Tu es…«
So schienen die
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