0465 - Heute Engel - morgen Hexe
eine Wohltat, ein Labsal. Ich will hin.«
»Ich auch, aber nicht so!«
»Was hast du?«
Suko schüttelte mich durch. »Der Gesang, John, er hat dich in seinen Bann gezogen.«
»Vielleicht…«
»Mehr sagst du dazu nicht?«
»Ich… ich habe das Gefühl, als würde ich ihn kennen. Es ist alles so lange her. Suko, der Gesang gilt mir, glaube ich.«
Der Inspektor lachte mich aus. »Liliths Höllenmusik?« fragte er.
»Sie hat damit nichts zu tun!«
»Ach so. Wer denn sonst?«
»Noch weiß ich es nicht, aber ich werde es noch herausfinden, darauf kannst du dich verlassen. Ja, ich finde es heraus. Der Gesang stammt nicht aus der Hölle. Lilith war der Aufhänger. Andere Dinge sind viel stärker. Wir müssen hin, Suko, und helfen.«
»Wobei helfen?«
»Lass uns gehen!«
Mein Partner blickte mich an. Möglicherweise bemerkte er die innere Unruhe, die mich erfüllte. Ich kam mir selbst vor wie ein Fremder. In meinem Kopf war ein gewaltiges Brausen, durchsetzt von Tönen und Klängen, die fremdländisch klangen und mir doch irgendwie vertraut oder bekannt waren.
»Gut, dann geh«, sagte Suko und ließ mich los. »Aber ich werde an deiner Seite bleiben.«
»Darum möchte ich dich bitten.«
Sehr schnell drehte ich mich um. In mir war das Wissen darüber, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis ich die Quelle des Gesangs erreichte.
An Gefahren, die auf uns lauerten, dachte ich in diesen Augenblicken nicht.
Was waren schon Vampire gegen diese Klänge?
Der Untergrund hatte sich nicht verändert. Nur war er eben geworden, aber Mulden und Rinnen sowie Steine bedeckten ihn nach wie vor, so dass wir achtgeben mussten, nicht zu stolpern.
Ich umging die Hindernisse wie ein Tänzer. Mein Ziel war klar. Obwohl ich es noch nicht sah, wusste ich sehr deutlich, wo es sich befand. Nicht mehr weit, nur noch wenige Schritte, dann…
Der Nebel lichtete sich, als wäre eine riesige Hand erschienen, um ihn wegzuscheuchen. Praktisch im letzten Augenblick verhielt ich meinen Schritt. Vor uns, aus der Tiefe des Inselbodens dröhnte der Gesang als schauriges Echo hervor.
Suko hielt mich fest. Er stand dicht neben mir und senkte den Kopf ebenso wie ich.
Wir beide standen am Rand eines gewaltigen Kraters und schauten hinein.
Und die Szene, die wir völlig klar dort unten sahen, konnte man mit dem Wort unglaublich beschreiben…
***
Um den Grund des Kraters zu erreichen, waren in die Wände vier lange Treppen hineingeschlagen worden. Die Stufen nahmen, je mehr sie sich dem Rand näherten, an Breite zu.
Die Personen, die wir suchten, hatten sich auf dem Grund des Kraters versammelt. Dort gab es viel Platz, da hätten sich 100 und mehr Menschen aufstellen können, ohne sich gegenseitig zu behindern.
So viele waren es nicht. Diejenigen, die im Schneidersitz hockend einen Kreis gebildet hatten, mussten die Personen sein, die sich WOMEN'S WITCH nannten.
Aber sie erinnerten in diesen Augenblicken nicht an Hexen, sondern an Frauen, die in stiller Trance versunken waren.
Sie hatten sich in einem Kreis hingesetzt, doch dieser Kreis hatte einen Mittelpunkt.
Es war ein gewaltiges und golden schimmerndes Kreuz!
»Ein Kreuz«, hauchte ich. »Himmel, das kann doch nicht wahr sein, Suko!« Ich spürte den Griff meines Freundes härter werdend. »Du hast nur bedingt recht, John. Das ist ein Kreuz, aber keines, wie du es besitzt. Kennst du es nicht?«
Ich war so durcheinander, dass ich erst noch überlegen musste. Auch danach floss die Antwort nur spröde über meine Lippen. »Das ist ein altägyptisches Henkelkreuz. Und das in dieser Größe!«
Ich konnte nur staunen. Auch Suko bekam den Mund fast nicht mehr zu.
Das Kreuz war wirklich gewaltig. Doppelt so groß wie ein Mensch, und wahrscheinlich bestand es aus purem Gold. Seinen Glanz konnte man schon als überirdisch bezeichnen.
Der Gesang war verstummt. Uns schien es, als hätten die dort unten versammelten Frauen etwas bemerkt, aber keine von ihnen schaute zum Rand des Kraters.
»Wo kommt es her?« fragte ich staunend.
»Das kann ich dir auch nicht sagen«, erwiderte Suko. »Frag mich lieber, was dieses Kreuz mit Lilith zu tun hat.«
Das war das große Rätsel. Ich sah mir das Henkelkreuz genau an. Es wich in seiner Form von dem, wie ich es um meinen Hals trug, stark ab.
Zwar hatte es drei Arme, die beiden waagerechten und den unteren, aber der obere Arm fehlte völlig. Dafür wuchs aus dem Kreuzungspunkt der drei Arme ein großes Oval in die Höhe, das man gewissermaßen
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