0465 - Heute Engel - morgen Hexe
langsam längsseits ging. »Alles klar?« rief er.
Ich stand auf und winkte. »Ja, er hat es nicht geschafft.«
»War er ein Vampir?«
Ich nickte und kletterte auf »unser« Boot.
»Böse Überraschungen erlebt man immer wieder«, sagte ich. »Aber wir wissen jetzt Bescheid. Die Vampire stecken auf der Nebelinsel. Für mich gibt es keinen Zweifel mehr.«
»Dann nichts wie hin!«
Ich blickte zur Insel hinüber. Noch immer war sie unter dieser weißgrauen Nebelglocke verborgen, die in der Höhe abflachte. Aus der Nebeloberfläche stiegen an einigen Stellen dünne, helle Fahnen, die vom Wind über das Meer getrieben wurden.
Was mochte sich hinter diesem Vorhang abspielen?
Suko dachte ebenso wie ich. »Auf geht's«, sagte er und gab soviel Stoff, dass mich die Kraft mit dem Rücken gegen die Heckreling drückte.
Ich war gespannt, wie die Nebelkönigin uns in ihrem Reich empfangen würde…
***
Dicht vor der Insel mussten wir uns auf unsere Fahrkünste und den lieben Gott verlassen. Die Klippen und Strudel wurden zu gefährlichen Fallen. Im Nebel waren sie kaum oder nur im letzten Augenblick zu erkennen.
Die »Suppe« war dicht. Weiß, wolkig und aufgequollen drehten sich die Schwaden vor unserem Boot. Ich hatte den Eindruck, Watte zu durchfahren. Das Wasser gurgelte und spritzte hoch.
Suko und ich waren sehr konzentriert. Wir gaben uns gegenseitig Ratschläge, Hilfe und Kommandos. Dennoch konnten wir es nicht vermeiden, dass unser Boot mit der Backbordseite an einem Felsen entlangschrammte.
Es waren Geräusche, die uns den Magen zusammendrückten. Wir erstarrten und atmeten erst auf, als wir kein Leck fanden.
»Stabil ist das Boot!« bemerkte Suko und strich über seine schweißnasse Stirn.
Ich nickte nur. Meine Kehle war trocken, aber das Schlimmste hatten wir glücklicherweise hinter uns. Jetzt schoben die Strudel mehr, als dass sie zerrten. Wir gerieten in flacheres Wasser und hofften, dass die Insel keine Steilküste hatte.
Die Nebelinsel war bereits zu erkennen. Aus der Ferne betrachtet, ähnelte sie einer grauen, breiten Wand.
Jetzt hätten wir eigentlich in ein kleines Beiboot umsteigen müssen, weil wir unter dem Kiel höchstens eine Handbreit Wasser hatten.
Wir hörten das Schrammen, als es zu spät war. Unser Boot schüttelte sich, Sand wurde aufgewühlt, der Bug stach hinein, dann saßen wir fest.
»Und?« fragte Suko.
»Wir sitzen fest. Lass uns an Land gehen, deshalb sind wir hier.«
Der Chinese verließ als erster das Boot. Sehr tief war das Wasser nicht.
Nur verflucht kalt. Die Wellen umspülten uns bis zu den Oberschenkeln.
Zum Glück war der Kahn mit einem kleinen Anker ausgerüstet, den ich zu Wasser gelassen hatte. Wenn kein Sturm über das Wasser fegte, würde er halten.
Suko eilte bereits voraus. Er wühlte sich breitbeinig und schwerfällig durch das Wasser, hielt die Arme ausgebreitet und erreichte den schmalen Strand als erster.
Nicht feiner Sand wie an den Mittelmeerstränden herrschte hier vor.
Dafür grobe Steine, hin und wieder durchsetzt von flacheren Kiesstücken, über die unsere Schritte knirschten.
Suko war ein Stück vorgegangen. Obwohl ich mich relativ dicht hinter ihm befand, sah ich meinen Freund wie eine phantomhafte Gestalt in den Nebelschleiern.
Er hatte sich gedreht und wartete auf mich. »Die Insel hätten wir erreicht«, sagte er, als ich dicht neben ihm stehenblieb. »Fragt sich nur, wo die Bewohner stecken.«
»Ja, und wer sie sind.«
»Nebelhexen.« Er lachte leise. »Die Große Mutter hat auch an nichts gespart.«
Ich sah mich um. Viel war nicht zu erkennen. Ein Hang, vielleicht auch große Steine, jedenfalls keine Steilklippe über die wir klettern mussten.
»Wie oft haben wir schon auf einer Insel gestanden?« fragte ich meinen Freund.
»Keine Ahnung, ich habe die Einsätze nicht gezählt. Aber du bist nicht auf die Große Mutter eingegangen.«
»Die kenne ich ja.«
Suko grinste. »Ist sie nicht immer für Überraschungen gut?«
»Das schon.« Ich hob die Schultern. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns in eine falsche Richtung bewegen.«
»Wie meinst du das?«
»Das mit der Großen Mutter kann stimmen, braucht aber nicht.«
Suko runzelte die Stirn. »Jetzt bin ich überfragt. Wie kommst du denn darauf?«
»Ich hatte Zeit, nachzudenken, und mir ist immer noch nicht klar, was die Große Mutter mit Vampiren zu tun hätte. Darum handelt es sich ja in unserem Fall.«
Suko zog die Stirn kraus. »Da haben sich eben heimlich in
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