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0468 - Der Mordgötze

0468 - Der Mordgötze

Titel: 0468 - Der Mordgötze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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»Das wäre doch auch was, um mich damit zu knipsen.«
    »Erstens«, sagte Delorno grimmig, »ist es kein Krokodil, sondern ein Alligator. Zweitens ist Wally lammfromm. Drittens ist er mein Freund; würdet ihr einen Freund ermorden und zu Handtaschen und Stiefeln verarbeiten? Viertens ist er mein Leibwächter und Wachhund, fünftens ein wertvolles Foto-Requisit…«
    »In ausgestopfter Form wesentlich ungefährlicher«, behauptete Yasmin.
    »Alligatoren sind nicht gefährlich«, widersprach Patrizia energisch. »Du brauchst bloß ihren Bauch zu streicheln. Dann schlafen sie ein.«
    »Aber bis ich drankomme, hat mich das Kroko schon gefressen«, sagte Yasmin verdrossen. »Da streichele ich lieber einem netten Mann den Bauch; der schläft mir dabei nicht ein und frißt mich auch nicht, sondern vernascht mich höchstens.«
    Patrizia ging zur Verandatür und zog sie auf. »He, Wally, was sagst du dazu? Die wollen dich killen!«
    Der fette Alligator hielt es für unter seiner Würde, darauf überhaupt zu reagieren. Er genoß weiter die Strahlen der Spätnachmittagsonne.
    »Mach bloß die Tür zu!« schrie Yasmin. Sie sah ihre abendliche Pool-Runde bereits ins Wasser fallen. Wenn der Alligator sich nicht bald vom Pool zurückzog, würde er dort einschlafen, und dann mochte Yasmin es nicht mehr riskieren, in seiner Nähe zu schwimmen - auch wenn Delorno ihr tausendmal versicherte, das Biest sei satt und friedfertig.
    Jungenhaft grinsend schloß die Fotografin die Tür wieder, ein wenig froh darüber, die attraktive Negerin von der Holzfigur abgelenkt zu haben. Als sie diesen eigenartigen geschnitzten Götzen kaufte, hatte sie nicht damit gerechnet, daß das häßliche Ding so aufsehenerregend wirken würde. Erst war Felicitas darauf abgefahren, und jetzt Yasmin.
    »Du bist irre, Pat«, sagte die Negerin. »Ein Kroko, diese scheußliche Skulptur, dein Beruf…«
    »Was ist denn an meinem Beruf irre?«
    »Daß du nur mehr oder weniger nackte Frauen fotografierst«, sagte Yasmin. »Du bist eine Künstlerin, Pat. Hast du so was nötig?«
    »Es bringt mehr Geld als Landschaftsaufnahmen, Porträts oder Tierfotos, die ohnehin nur die Katzenfutterreklame ankauft. Angezogene Frauen siehst du überall, nackte weniger oft - siehe heute in der Via Veneto. So was erfreut das Männerauge, und die Männer sind es doch, die die Zeitungen kaufen, die ich beliefere. Also… wenn wir noch was zustandebekommen wollen, sollten wir aufbrechen.«
    »Und was willst du jetzt konkret mit diesem Manitou machen?« wollte Yasmin wissen.
    »Manitou?« echote Delorno.
    »Dein Holzgötze. Der ist doch indianisch, wie ich schon sagte. Was machst du mit dem Teil?«
    »Ich schenke ihn dir«, sagte Patrizia leichtsinnig. »Wenn du so wild auf das Ding bist…«
    »Angenommen«, sagte Yasmin zu ihrer Überraschung. Sie gab ihr einen Kuß auf die Wange, schnappte sich die Figur und hielt sie in den Armen wie einen jungen Hund. Der Fotografin fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Eh…«
    Die Negerin grinste. »Gesagt ist gesagt. Jetzt gehört er mir.«
    »Dieses häßliche Biest«, warf Felicitas verständnislos ein. »Wenn mir einer das Ding schenkte, ich würde es verbrennen.«
    »Ihr Weißen seid eben Kulturbanausen«, stellte Yasmin trocken fest.
    Patrizia Delorno preßte die Lippen zusammen. Sie glaubte, für den Bruchteil einer Sekunde ein Blitzlicht gesehen zu haben, das in genau dem Moment aufgrellte, als Felicitas von Verbrennen sprach.
    Draußen am Swimmingpool bewegte sich Wally, der Alligator, träge. Er klappte das Maul noch weiter auf. Seine Zähne hatten eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen der Holzfigur.
    ***
    Xotopetl war zutiefst erschrocken über die Äußerung einer der künftigen Lebensspenderinnen. Verbrennen wollte sie ihn? Er war froh, daß er die andere in die erste Wahl als Nachfolgerin gezogen hatte. Die willensstärkere Spenderin, die von Verbrennen gesprochen hatte, würde er allerdings ebenfalls weiter bearbeiten, nur benötigte er dafür etwas mehr Zeit. Es war gut, daß sie frühzeitig gezeigt hatte, wozu sie zumindest gedanklich imstande war.
    Immerhin hatte er seine derzeitige, rechtmäßige Lebensspenderin dazu gebracht, ihn an die auserkorene Nachfolgerin weiterzugeben.
    Der Weitgereiste fühlte sich gut.
    Es war nach langer, langer Zeit das erste Mal, daß er selbst wieder darüber entscheiden konnte, wer in die Reihe der Lebensspenderinnen aufgenommen wurde.
    Jetzt wußte er, daß seine Zukunft soeben begonnen

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