0468 - Der Mordgötze
Und mehr, als ihm das Leben zu retten, konnte sie doch niemals tun…
***
Mit seinen unsichtbaren Fühlern drang Xotopetl in den Geist der neuen Lebensspenderin ein, und er registrierte, daß sich weitere mögliche Lebensspenderinnen in ihrer Nähe befanden. Für die Zukunft war also gesorgt. Der Weitgereiste mußte nur dafür sorgen, daß er Kontakt zu diesen künftigen weiteren Lebensspenderinnen bekam.
Er wollte nie wieder tot sein.
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Zamorra fragte sich, weshalb er überhaupt mitgekommen war. Ihre Einkäufe konnten Nicole und Carlotta auch ganz gut ohne seine Unterstützung erledigen. Immerhin brauchte er diesmal seine Kreditkarten und Schecks nicht zu strapazieren; Ted Ewigk hatte sich ja großzügigerweise bereit erklärt, die Rechnung zu übernehmen. Aber vermutlich hätten die Damen ihre Kleiderschachteln dann selbst schleppen müssen; so halsten sie sie Zamorra auf. »Dem Kavalör ist nichts zu schwör«, lästerte Nicole.
»Schon mal was von Gleichberechtigung gehört?« fragte Zamorra. »Sonst wollt ihr doch immer alles selbst machen und selbst können. Warum nicht auch beim Tüten und Schachteln tragen?«
»Weil es die Gleichberechtigung für den Mann noch nicht gibt«, stellte Nicole fest. »Ihr dürft zwar über Politik und Fußball und ähnliche unglaublich wichtige Dinge entscheiden, aber die Kinder kriegen immer noch wir.«
»Das sollte man ändern«, brummte Zamorra.
Ein Menschenauflauf wanderte ihnen entgegen. Einige lachten, andere erhoben Protestgemurmel. Zamorra, der italienisch fließend beherrschte, vernahm etwas von ›Unmoral‹, ›Verworfenheit‹ und ›Sittenverfall‹ und den Ruf nach den carabinieri , der Schutzpolizei. Augenblicke später flutete die Menge an ihnen vorbei. In der Mitte hatten die Zuschauer immerhin genügend Platz gelassen für eine junge Frau, die offenbar Berufsfotografin war, weil sie sich noch mehr mit Kameras behängt hatte als eine japanische Touristenfamilie auf Europa-Tour, und diese Kameras entstammten durchaus der gehobeneren Preisklasse. Objekt der Aufnahmen war ein blondes Mädchen, das völlig unbekleidet einen Schaufensterbummel machte. Die Nackte bewegte sich mit einer unbefangenen Selbstverständlichkeit, als wäre sie ganz normal angezogen.
Das Modell sah kurz zu Zamorra und seinen beiden Begleiterinnen und stutzte. Etwas wie Wiedererkennen lag in ihrem erstaunten Blick, aber Zamorra war seinerseits sicher, die Blonde noch nie in seinem Leben gesehen zu haben. Sie betrat die Boutique, aus der die drei Einkaufsbummler gerade gekommen waren, gefolgt von der Fotografin, die jetzt mit Blitzgerät arbeitete. »Das wollen wir uns doch nicht entgehen lassen«, waren sich Nicole und Carlotta einig und drängten an der Spitze einiger Schaulustiger nach. Wie ihr Packesel Zamorra im Gedränge mit seiner Last zurechtkam, interessierte die beiden Damen erst einmal herzlich wenig. »Sieht aus, als hätte die Hübsche dasselbe Problem wie ich, nämlich nichts anzuziehen«, vermutete Nicole.
»Nur geht sie dabei wesentlich konsequenter vor«, ergänzte Carlotta.
Die dunkelhäutige Verkäuferin, die ihnen vorhin durch permanentes Nichtstun aufgefallen war, kümmerte sich jetzt sofort um die ungewöhnliche Kundin und verriet damit, zum Team zu gehören. Nach dem Anbieten verschiedener Textilien schien die Kundin sich ausgerechnet auf das Kleid versteift zu haben, das die Verkäuferin trug, und die Fotosession endete damit, daß die Blonde in besagtem Kleid die Boutique verließ und die ›Verkäuferin‹ im Evaskostüm zurückblieb. Allerdings nicht sonderlich lange; sie schlüpfte hastig in einen Mantel und verließ nicht weniger hastig die Boutique, um mit der Fotografin und der Blonden in einem amerikanischen Straßenkreuzer älteren Baujahrs zu verschwinden. Gerade rechtzeitig; zwei Einsatzwagen von carabinieri und vigili urbani stoppten fast gleichzeitig vor der Boutique. Die wenigen um Sitte und Moral besorgten Bürger unter den Schaulustigen hatten es doch noch geschafft, die Polizei herbeizurufen. Aber da war nichts mehr in Ordnung zu bringen.
»Wenn wir das irgend jemandem erzählen, glaubt's uns keiner«, behauptete Carlotta. »Die verrücktesten Geschichten schreibt doch immer das Leben. Bin mal gespannt, in welcher Zeitung die Fotos erscheinen werden.«
»Und mich würde brennend interessieren, weshalb die Blonde dich draußen und auch hier drinnen ein paarmal so durchdringend angeschaut hat, chéri «, sagte Nicole. »Es kam mir so vor, als
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