0468 - Grab-Phantome greifen an
eine andere Richtung geschaut hatte. »Uwe, ich… ich werde verrückt. Der Stein, er bewegte sich.«
Kunz fühlte sich wie jemand, der aus einem tiefen Traum gerissen worden war. Er schrak zusammen, um anschließend mit seinem Blick dem ausgestreckten Zeigefinger seiner Frau zu folgen.
Sie hatte den größten der Grabsteine ins Visier genommen. Der stand tatsächlich nicht mehr ruhig im Boden. Er wurde auch nicht von irgendwelchen Nebelschleiern umflort, die diese Bewegung hätten vorspielen können. Der Stein mußte von unten her durch irgendwelche Kräfte bewegt werden. Er zitterte leicht, kippte dabei auch nach vorn und schwang wieder zurück. Aber er fiel nicht um.
Das Ehepaar stand starr da, als wären beide mit den Fußsohlen auf dem kalten Boden festgefroren.
Und nicht nur dieser eine Stein war aus seiner Ruhe gerissen worden. Vier andere schwangen ebenfalls vor und zurück. Sie standen nicht zusammen, sondern räumlich getrennt, und dennoch schienen sie einen einzigen Antrieb zu besitzen.
Elke und Uwe Kunz wurde es heiß und kalt. Beiden hatte es die Sprache verschlagen. Uwe spürte auf seiner Stirn den Schweiß.
Gleichzeitig kam er sich vor, wie in Watte eingepackt, denn das Erlebnis war kaum faßbar und glaubhaft.
Wieder einmal war die Frau in diesem Fall die Stärkere. Uwe spürte Elkes harten Griff an seinem Arm. Er sah ihr Gesicht an seiner rechten Seite, die verweinten Augen, aber auch das Flehen im Blick, diesen unheimlichen, kleinen Friedhof endlich zu verlassen.
»Wir müssen Weg!«
Drei Worte, die alles sagten. Sie zerrte ihren Mann vor, jetzt erst ging Uwe weiter, den Blick dabei nie von den unheimlichen Grabsteinen nehmend.
Der größte Stein stand dicht am Weg. Sie würden ihn an der linken Seite passieren und zu allem Überfluß noch sehr dicht an dem Stein vorbeistreichen.
Fast zum Greifen nahe…
Aber es war der kürzeste Weg zum offenen Tor. In den folgenden Sekunden standen beide heiße Ängste durch. Es passierte, als sie den größten Stein fast erreicht hatten.
Er kippte plötzlich nach vorn – und um!
Elke schrie auf. Sie blieb abrupt stehen, und ihre Hand rutschte aus Uwes Armbeuge.
Mit seiner oberen Kante war der Stein dicht vor ihren Füßen aufgeschlagen. Das war nicht alles. In der Erde, und zwar dort, wo er gestanden hatte, tat sich etwas. Der weiche Boden veränderte ständig seine Oberfläche.
Die Steine begannen zu tanzen. Sie beugten sich sogar zur Seite, und nahe der Mauer sah ein Stein aus, als wollte er sich gegen den Wall drücken.
»Er hat nicht gelogen«, flüsterte Elke. »Der Junge hat nicht gelogen. Die Steine sind…«
»Komm weiter, El…«
Ein heulendes Geräusch ließ Uwe Kunz verstummen, denn dicht vor ihnen jagte etwas aus dem Boden. Eine geisterhafte, unheimliche Gestalt. Ein Geistwesen, das durchscheinend war und nur seine Umrisse durch einen fahlen Streifen kennzeichnete.
Beide hatten noch nie in ihrem Leben ein Gespenst gesehen. Zum erstenmal wurden sie damit konfrontiert. Aber es war nicht alles.
Das Gespenst war noch bewaffnet. In der rechten Hand trug es ein langes Schwert, dessen Klinge schräg in den dunklen Nachthimmel wies und ebenfalls fahl glänzte.
Dicht vor den beiden Menschen huschte es in die Höhe, um den grauen Nachthimmel zu erreichen, weil es dort verschwinden wollte. Elke und Uwe hatten sich unwillkürlich geduckt. Sie starrten sich an, schüttelten die Köpfe und erkannten jeweils die zweite Haut beim anderen.
»Das ist unglaublich!« hauchte Uwe, der endlich die letzten Meter bis zum Tor zurücklegen wollte.
Dazu kam es noch nicht.
Drei andere Grabsteine waren von den in der Tiefe wohnenden Kräften ebenfalls gekippt worden und hatten somit den Weg für die Gestalten freigemacht.
Die Gespenster stiegen aus den Gräbern. Sie heulten nicht, sie verbreiteten nur einen stummen Schrecken, gaben eine Kälte ab, die anders war als der Frost des Abends.
Die Kunzes spürten es und fürchteten sich, denn die Geister verschwanden nicht im Dunkel des Himmels wie die erste Gestalt, sie blieben auf dem Friedhof.
»Das… das ist nicht möglich!« hauchte Elke Kunz. »Nein, das kann einfach nicht sein. So etwas glaube ich nicht …« Sie schüttelte den Kopf. »Uwe, hast du eine Erklärung dafür?«
»Keine Ahnung!« hauchte der Apotheker.
Es waren drei Gestalten, die aus den Löchern im Boden krochen und über den Friedhof gingen. Sie schritten aufrecht dahin, fast wie Soldaten, die zu einer Parade angetreten
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