0469 - Tödlicher Flammengruß
Stimme allein aus ihr geklungen war.
»Streichle mich…«
Vorsichtig hob er seine Hand. Es war eine sehr behutsam geführte Geste, und er behielt sie auch bei, als er die Hand krümmte und sie so um die Flamme legte, als wollte er damit den Kopf eines Wellensittichs streicheln.
Jetzt hätte er die Wärme spüren müssen, und eine Sekunde später die Hitze.
Keines von beiden war vorhanden. Die Flamme strahlte überhaupt nichts ab. Sie verhielt sich neutral.
Und er hörte wieder die Stimme. »Faß mich an, streichle mich.«
Friday schüttelte den Kopf. Er besaß eine Antenne für übersinnliche Phänomene, aber das hier war einfach zuviel. Dafür hatte auch er keine Erklärung, es überstieg sein Fassungsvermögen. Erklärungen wären ihm lächerlich vorgekommen.
Der Mann im Feuer war angezogen. Er trug einen Parka-Mantel, Jeans, einen Pullover. Dabei wirkte er völlig normal, als wäre er eben von der Arbeit gekommen.
Sein Kopf reichte bis in die Spitze der Flamme. Das Gesicht wirkte grau, leicht faltig und trotz der Verkleinerung scharf gezeichnet.
Herbert Friday schaute die Stufen hoch und ließ seinen Blick auch über den Handlauf gleiten.
Die Flammen standen dort wie Wächter. Ruhig brannten sie, und jede von ihnen enthielt einen Menschen.
Männer und Frauen. Nur Kinder fehlten. Ansonsten gaben sie einen Querschnitt durch die Bevölkerung.
Friday hörte wieder die Stimme. Diesmal klang sie härter, befehlender, fast grausam.
»Drück zu!«
Der Autor schrak zusammen. Die Gesichtszüge wirkten angespannt. Jemand schien seine Haut glatt gezogen zu haben. Er wußte, was man ihm da mitgeteilt hatte.
Es war ein Mordbefehl gewesen!
Er sollte töten, vernichten, den Menschen innerhalb der Flamme zerquetschen.
»Nein!« flüsterte er. »Nein, das kann ich nicht.« Friday ging einen Schritt zur Seite. »So etwas könnt ihr von mir nicht verlangen. Ich will nicht…!«
»Drück ihm die Kehle zu!«
Er krümmte sich. Es war nicht allein der Mordbefehl, der ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, da gehörte noch etwas anderes dazu, das gleich schlimm war.
Damit meinte er die Stimme.
Sie war nicht mit der ersten identisch, die ihm den ersten Befehl gegeben hatte. Die zweite war eine andere gewesen, aber eine ihm sehr bekannte. Er hatte sie schon gehört. Sehr oft sogar. Nur war der Autor in diesem Moment so durcheinander, daß er keine Lösung fand.
Und wieder sprach die Stimme. »Drücke zu! Fasse in die Flamme hinein und zerquetsche ihn!«
Da fiel es Herbert Friday wie Schuppen von den Augen. Auf einmal wußte er, wer gesprochen hatte.
Die Stimme gehörte ihm selbst!
***
Das Erschrecken über dieses Wissen glich einer Schockwelle, die ihn erwischte. Der Mann stand unbeweglich, er fror und schwitzte zur gleichen Zeit. Dabei dachte er darüber nach, wie es möglich sein konnte, daß er sich selbst den Mordbefehl gegeben hatte.
Er ein Mörder?
Nein, das stand im Gegensatz zu seiner Lebensauffassung. Er hatte die Natur und das Leben stets geschützt, weil er genau wußte, daß nicht nur Menschen Schmerzen verspüren, auch andere Wesen litten unter bestimmten Voraussetzungen. Auch sie verspürten Schmerzen, man konnte sie quälen, und er hatte bei all seinen Forschungen und Versuchen das kostbare Gut Leben stets sehr hoch gehalten.
Jetzt sollte es vernichtet werden. Was befand sich in seinem Innern? Hatte sich seine Seele zu einer Umkehr gezwungen gefühlt? Drang unter Umständen jetzt das hervor, was lange und tief in ihm geschlummert hatte und wohl in jedem Menschen wohnte. War die Zeit der guten Taten endgültig vorbei? Eine andere Möglichkeit sah er nicht. Da mußte aus der Tiefe der menschlichen Psyche etwas hervorgestiegen sein, für das er keine Erklärung fand. Und es erschreckte ihn so tief, daß es sein normales Denken überspülte.
»Töten mußt du…«
Wieder hatte er sich den Befehl gegeben, der schon einem gefährlichen Schlachtruf glich.
Herbert ging zurück. Er kam einfach nicht mehr zurecht. Diese Situation wuchs ihm über den Kopf.
Er hatte dem Haus nur einen kurzen Besuch abstatten wollen und nicht ahnen können, welch eine Hölle ihn hier erwartete. Zwischen diesen Mauern wohnte das Grauen, eingehüllt, verpackt, aber dennoch frei.
Und an der Tür stand sein Name.
DARIOLO!
So hatte er sich genannt. Unter diesem Pseudonym war er in der Fachwelt bekannt geworden, er hatte es auch mit fortschreitender Zeit als zweites Ich angesehen. Doch es war nie faßbar gewesen, eine
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