0469 - Tödlicher Flammengruß
bestanden aus Holz, sie liefen aufeinander zu, kamen von oben, von unten, kreuzten sich, waren winkelartig gebogen, liefen von der Seite her zusammen und schienen in den Wänden zu verschwinden, in denen sich das Licht spiegelte.
Es brannten dabei keine Kerzen, nur eben die Flammen, die auf den Stufen, den Handläufen und den kleinen Absätzen standen und jeweils die Größe einer ausgewachsenen Männerhand besaßen.
Das Licht zauberte kleine Kreise an die Decke, die an den Rändern ausliefen. Die weiter unten stehenden Kerzen erhellten den Boden, der ebenfalls aus dunklen Platten bestand.
Herbert Friday war so überrascht, daß er zunächst einmal nicht weiterging und das Ganze auf sich einwirken ließ. Wer lebte hier? Welcher Mensch umgab sich mit diesem Treppenwirrwarr und all den Flammen, die sich an keinem Docht festhielten.
Wer konnte Feuer befehligen?
Ein Feuer, das kein Rauch abgab. Man roch es nicht, es war auch keine Wärme in dem Sinne zu spüren, denn die Flammen hätten sie normalerweise abgeben müssen.
Friday suchte nach einem Begriff, mit dem er diese Halle vergleichen konnte. Der Begriff fiel ihm ein. Ja, es war möglich, daß er sich in einer Gedenkstätte für Tote befand.
Beim ersten Hinschauen besaß diese große Halle ein etwas feierliches Flair. Je länger sich der sensitiv begabte Mann allerdings darauf konzentrierte, um so stärker wurde der Eindruck des Unheimlichen, des Makabren und Rätselhaften.
Da war nichts Feierliches mehr. Hier stand er in der Höhle des ihm noch unbekannten Löwen.
Es dauerte einige Zeit, bis er sich aus seiner Starre gelöst hatte und den ersten Schritt nach vorn ging. Sein Ziel war die Flamme, die am Ende einer Treppe auf dem Geländerpfosten leuchtete.
Sie stand ruhig da, als wäre sie ein Pfahl. Auch durch seine Bewegungen flackerte sie nicht. Friday senkte den Blick. Er wollte sehen, ob sie irgendeinen Halt hatte, weil er sich schlecht vorstellen konnte, daß eine Kerze ohne Docht so ruhig brannte.
Aber da war nichts, was sie hielt.
Die Flamme stand da und brannte. Er hatte Muße, sie genau anzusehen. Beim Näherkommen kristallisierte sie sich deutlicher hervor, und jetzt erkannte er auch den dunkleren Fleck in ihrem Kern.
Er hatte sich etwas in die Länge gezogen, als würde er eine Figur bilden.
Der Autor wischte über seine Augen, während sich die Lippen verzogen. Was man ihm da präsentierte, das war eigentlich unglaublich, deshalb ging er so nahe an die Flamme heran, daß er nur den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu berühren.
Da sah er es genau.
Schweißperlen rannen plötzlich über seinen Rücken. Etwas wühlte seine Seele auf. In diesem Augenblick merkte er von der Kraft, die ihn umgab und die er nicht fassen konnte.
Einen Docht besaß die Flamme nicht in ihrem Innern. Dafür etwas anderes, etwas völlig Normales, aber gleichzeitig Unwahrscheinliches.
In der Flamme steckte ein Mensch!
Er stand da und schluckte. Durch die Nase holte er Luft. Ein Beobachter hätte erkannt, daß sich das Licht der Kerze in seinen Pupillen spiegelte und dort blitzende Reflexe warf.
Der Mensch in der Flamme. Stark verkleinert, aber ein Mensch. Er sah das Gesicht, die Haut, sogar die Falten darin, die ihm zeigten, daß er es mit einem älteren Mann zu tun hatte.
Herbert zitterte. Er drehte den Kopf und schaute die Stufen der Treppe hoch, die sich an ihrem Ende mit einer von links kommenden kreuzte. In was war er da hineingeraten. Für das Grauen hatte er einfach keine Erklärung. Es war vorhanden, es hatte ihn überkommen, er sah es und spürte den inneren Drang, die Hand auszustrecken.
Dabei dachte er wieder an den Namen auf dem Schild.
Dariolo!
Das war sein Pseudonym. Darunter war er bekannt geworden, aber er hatte sich nie mit Dingen beschäftigt, wie er sie hier sah. Das war der reine, kalte Horror, finsterste Magie, vielleicht von der Hölle ausgesandt worden, aber nicht normal.
Eine Flamme mit einem Menschen darin, der ihn anschaute, jetzt die Mundwinkel verzog, sich aber nicht zu einem Lächeln durchringen konnte.
War es Freude, Ungewißheit oder Furcht?
Vielleicht kamen alle drei Dinge zusammen. Gleichzeitig vernahm Friday auch eine Botschaft.
Möglicherweise hatte der andere geredet. Und wenn, dann laut genug, damit der Mensch es auch verstand.
»Streichle mich…«
Es klang wie ein Befehl. Zuerst zuckte Herbert zurück. Er drehte den Kopf, suchte nach dem Sprecher, bis ihm klarwurde, daß die Flamme zu ihm geredet hatte und die
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