0471 - Im Bann der Hexe
muß die Wirkung sein. Zur Sicherheit nehme ich noch einen Schluck, wenn Ihr erlaubt.«
Der Pegelstand der Flasche war erschreckend gesunken. Susy bedauerte es nicht; sie wollte sich nicht betrinken! Aber die wenigen Schlucke, die sie nahm, verdrängten die innere Kälte ein wenig, die sich in ihr ausbreiten wollte, seit sie wußte, Gift getrunken zu haben.
»Es muß doch eine Möglichkeit geben, das Gift zu neutralisieren«, flüsterte sie. Ihr wurde schwindlig. Die Umgebung verschwamm vor ihren Augen. War es nur Einbildung, oder wirkte das Gift bereits? Sie bemühte sich, einen klaren Kopf zu bekommen.
Der Gnom näherte sich ihr. Seine kohlrabenschwarze Hand berührte den Stoff des Kleides. Der Namenlose verzog das Gesicht. »Habe ich mir doch gedacht. Dieser familiaris hat auch das Kleid mit einem Kontaktgift durchwirkt! Er wollte wohl ganz sicher gehen. Vermutlich hätte er sich auch für mich noch etwas einfallen lasen.«
Susy starrte ihn entgeistert an und versuchte zu begreifen, was der Gnom gesagt hatte. Kontaktgift im Kleid?
»Ihr müßt es sofort wieder ausziehen«, riet der Gnom. »Vielleicht hat es noch nicht lange genug auf Eure Haut Einfluß genommen, so daß Ihr mit ein wenig Übelkeit davonkämet…«
»Er schwätzt Unsinn!« widersprach Don Cristofero. »Vergiftet hat sie sich so oder so, indem sie von dem Wein trank. Denke Er lieber darüber nach, ob Er einen Zauber weiß, mit dem die Wirkung des Giftes sich aufheben läßt. Mich dünkt, es ist da nämlich ebenfalls Magie im Spiele.«
Susy zupfte nervös an dem Stoff. Natürlich war sie einerseits erleichtert gewesen, daß sie etwas zum Anziehen bekam und den schrulligen Don Cristofero nicht mehr mit ihrer Nacktheit in Verlegenheit bringen mußte. Andererseits hatte der Gnom durchaus recht - je länger das Kontaktgift im Stoff Gelegenheit hatte, ihre Haut zu durchdringen, desto stärker wurde die Vergiftung. Und um so schwieriger die Heilung - falls sie überhaupt möglich war.
Also streifte sie das Kleid wieder ab. Don Cristofero seufzte tief und nahm noch einmal einen Schluck aus der Genever-Flasche.
Der Gnom riß entschlossen einen breiten Streifen von dem Stoff ab. Dann füllte er ein weiteres Glas mit dem vergifteten Wein. Don Cristofero berührte den Stoff vorsichtshalber mit der Degenspitze. »Was tut Er da? Will Er sich selbst vergiften, indem er den Stoff befingert?«
Der Gnom verneigte sich tief. »Herr, Ihr wieset mich an, einen Zauber gegen das Gift zu finden. Um dies zu tun, muß ich zunächst das Gift analysieren!«
»Aber bislang war Er noch gesund! Er geht das Risiko ein, zu sterben!« wunderte sich der Grande.
»Herr, erlaubt mir zu sagen, daß Euer Tod auch mir den Lebensmut nehmen würde. Denn wer sollte sich eines Ausgestoßenen und Außenseiters, wie ich es bin, so voller väterlicher Güte und Wohlwollen annehmen und mich vor den üblen Spöttern und bösen Buben beschützen? Was wäre ich ohne Euch, Herr? - Auch, wenn Ihr mit Euren Launen bisweilen unerträglich seid…« Blitzschnell wetzte er, Glas und Stoff tragend, in Richtung seines eigenen Zimmers davon. Don Cristofero, erst geschmeichelt und fürsorglich-wohlwollend lächelnd, erbleichte jäh, dann griff er nach der Weinkaraffe und schleuderte sie dem Gnom nach. »Undankbarer Wicht!« schrie er. »Hebe Er sich hinfort!« Der Gnom schien auch Augen am Hinterkopf zu haben, denn rechtzeitig duckte er sich, die Karaffe flog über ihn hinweg und zerschellte einige Meter weiter auf dem Boden. Dann erreichte der Gnom sein Zimmer und riß die Tür hinter sich zu.
Trotz der fatalen Lage, in der sie sich befand, mußte Susy unwillkürlich lächeln. Der Grande wandte sich ihr stirnrunzelnd zu, dann lachte er leise. »Ein pfiffiges Kerlchen, aber sagt's ihm bitte nicht wieder. Was wäre ich ohne ihn? Er ist mir ein steter Born ungetrübten amusements .«
»Vielleicht sollten Sie ihn trotzdem etwas freundlicher behandeln, mijnheer «, gab Susy zu bedenken. »Was ist er überhaupt für ein Wesen? Warum hat er so schwarze Haut? Nicht einmal die schwärzesten Neger sind so schwarz.«
»Niemand weiß es«, sagte Don Cristofero ernst. »Seine Eltern kennt niemand. Er mußte sich stets allein durchschlagen. Er ist eine Mißgeburt; eine üble Laune der Natur. Aber er gefällt mir. Wenn man sich erst einmal an ihn gewöhnt hat, ist er ein ganz passabler Freund. Man darf's ihm nur nicht zeigen, damit der nicht größenwahnsinnig wird.«
»So größenwahnsinnig wie Sie?«
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