0471 - Im Bann der Hexe
hierher kam, befaßte ich mich mit seltenen Vögeln und ihrer Lebensweise.«
»Und mit Zauberei.«
»Und mit Zauberei«, bestätigte sie. »Das führte dazu, daß ich nun über ein ganzes Reich herrsche. Aber es füllt mich nicht aus. Ich brauche größere Herausforderungen. Ich wollte ein Weltentor öffnen. So seid Ihr wohl hierher gelangt. Es scheint ein Zeit-Tor geworden zu sein. Und ich bedaure zutiefst, Euch aus einer wohl lustvollen Orgie hierher entführt zu haben; es entsprach durchaus nicht meiner Absicht.«
»Orgie?« staunte Don Cristofero.
Lucia, die Herrin der Dunkelheit, deutete auf die apathisch im Sessel hingestreckte Susy van Loowensteen, die kaum noch fähig war, dem Gespräch zu folgen. »Nun, ich wüßte nicht, daß es in Eurer Zeit üblich gewesen wäre, völlig unbekleidet herumzulaufen. Daher schloß ich auf eine Orgie.«
»Ein Fehlschluß«, sagte der Grande und hob indigniert die Brauen. »Auch kommen wir nicht direkt aus der Vergangenheit, sondern durchaus aus dem 20. Jahrhundert. Ohne Euch beleidigen zu wollen - mich dünkt, mit Eurer Zauberkunst ist's nicht weit her…«
»Woher wollt Ihr das wissen? Wurden in Eurer Zeit nicht Zauberer und Hexen auf den Scheiterhaufen geschickt?«
»Zuweilen noch, doch erlebte ich selbst nichts dergleichen«, erwiderte der Don. »Ich würde derlei Gepflogenheiten auch als recht barbarisch empfinden. Primitive Unterhaltung für den Pöbel aufgrund von Irrungen und Willkür einiger weniger. Nicht minder scheußlich wie die Massenhinrichtungen von Christen auf Befehl des römischen Kaisers Nero.«
Sie lächelte verloren. »Ihr würdet mich also nicht verbrennen wollen, Don?«
»Ich wüßte Besseres, magicienne «, gab er zurück. »Beispielsweise könntet Ihr etwas gegen das Gift tun, das in Mademoiselle Susannas und meinen Adern kreist und uns allmählich dahinsiechen läßt.«
»Oh, Ihr seht aber gar nicht so sterbend aus.«
Don Cristofero atmete tief durch. »Meine liebe Madame Lucia«, sagte er. »Ich bin wahrlich versucht, meine gute Erziehung zu vergessen und Euch zur Hilfeleistung zu zwingen. Euer Tier war es, das uns vergiftete. Also ist es Eure Verantwortung. Tut etwas, aber tut es schnell! Mademoiselle van Loowensteen stirbt, wollt oder könnt Ihr das nicht sehen? Bei mir dauert's etwas länger, aber… eines garantiere ich Euch. Ich werde euch nicht ungestraft davonkommen lassen.«
Die Herrin der Dunkelheit wich einen Schritt zurück. Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Ihr wagt es, mir in meinem eigenen Palast zu drohen?«
»Es geht um Menschenleben. Da wage ich noch viel mehr.«
Er griff zum Degen. »Wollt Ihr nun etwas gegen das Gift tun oder nicht?«
Sie hob die Hand. »Ihr seid ein Narr, Don Cristofero Fuego«, sagte sie. Aus ihrer Fingerspitze sprühten Funken, vereinigten sich zu einer Art Kugelblitz und erreichten die Degenspitze, noch ehe der Grande die Klinge zurückreißen konnte. Im nächsten Moment glühte der Degen auf und zerschmolz. Die Metalltropfen brannten sich unter enormer Gestankentwicklung in den hochflorigen Teppich.
Unwillkürlich wich der Grande zurück und riß abwehrend beide Hände hoch. »Faszinierend«, stellte er fest. »Wie macht Ihr das?«
Lucia, die Herrin der Dunkelheit, wich zurück, bis sie den familiaris erreicht hatte, und hob den schlaffen Körper auf.
»Es gab keinen Grund dafür, daß Ihr ihn verletzt habt«, sagte sie scharf. »Ihr werdet die Folgen dafür zu tragen haben.«
»Er vergiftete uns!«
»Das glaube ich Euch nicht. Ihr seid zu agil, um Gift in Euch zu tragen. Und die Kleine da im Sessel schauspielert gekonnt.« Die Zauberin ging an Don Cristofero und Susy vorbei und verließ das Zimmer. Als der Grande sich von seiner Überraschung erholt hatte und ihr nachstürmen wollte, stellte er fest, daß die Tür sich nicht öffnen ließ. Sie war blockiert, obgleich er kein Schlüsselgeräusch gehört hatte. Er rüttelte kräftig an der Klinke und warf sich gegen das Holz. Aber ebensogut hätte er mit gekochten Spaghetti Mikado spielen können.
Finster wandte er sich ab und kam mit leicht hängenden Schultern zurück in die Zimmermitte.
»Sie hätten sie nicht verärgern sollen, mijnheer «, flüsterte Susy apathisch. »Wir sind immerhin von ihr abhängig.«
Don Cristofero kniete neben dem Sessel nieder; immer noch bereitete es ihm leichte Verlegenheit, das nackte Mädchen anzusehen. »Was hätte ich anderes machen sollen?« fragte er resignierend. »Wie fühlt Ihr Euch,
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