0471 - Im Wartesaal des Todes
York war. Seit etlichen Jahren hatte er einen guten Ruf als Autor von Fernsehstücken. Sein Büro lag in einem verfallenen Warenhausgebäude an der River Street. Es war sehr ruhig dort, und er konnte ohne Störung arbeiten. Wenigstens sagte Harry das immer.
Aber jetzt war er offensichtlich gestört worden!
Mein Jaguar schob sich mit sattem Motorgebrumm in den zähflüssigen Verkehr. Rotlicht und Sirene bahnten mir einen Weg durch die aneinandergepreßten Straßenkreuzer.
Wenige Minuten später hatte ich das Warenhaus erreicht. Mit einem Satz war ich aus dem Wagen heraus. Der Lift brachte mich ins dritte Stockwerk, und dann stand ich in Harrys Büro.
Mir stockte der Atem, als ich ihn sah. Mit ausgestreckten Armen lag Harry über der Schreibtischplatte. Meine Finger suchten den Puls an seiner Hand, aber sie fanden nichts.
Ich sah auf seinen toten Körper. Meine Hand strich über seinen Rücken. Irgendwie kam es mir so vor, als müßte ich etwas sagen. Aber ich fand einfach keine Worte.
Ich sah mich um und erblickte die Bleistifte und den Notizblock auf dem Schreibtisch. Die Blätter des Blocks waren leer, aber die Bleistifte waren abgeschrieben.
Dann entdeckte ich die Fotografie. Eine blonde, hübsche Frau lächelte mich an. Die Finger von Harrys rechter Hand berührten den unteren Rand des Bildes.
Ich drehte es herum und las die Widmung auf der Rückseite. »Für Harry — in Liebe — Judith.«
Mit dem Taschentuch umfaßte ich den Telefonhörer. Ziemlich schnell bekam ich eine Verbindung mit Captain Hywood von der Stadtpolizei.
»Mensch, Cotton«, röhrte der bärbeißige Captain mit seiner Megaphonstimme. »Sagen Sie bloß nicht, daß Sie jemanden von unserem Verein brauchen. Wir stecken bis über beide Ohren in einer Bankraubsache.«
»Sorry, Hywood, hier geht es um Mord«, sagte ich nur und gab ihm die Adresse durch. Der Captain versprach, sofort zu kommen.
Ich hatte gerade wieder den Hörer auf die Gabel gelegt, als ich ein Geräusch an der Bürotür hörte. Meine Hand fuhr zur Schulterhalfter, und ich wandte mich um.
Die Tür öffnete sich, eine Frau stand im Rahmen.
»Hallo, Judith«, sagte ich.
***
»Diesmal werden uns nicht die Dollars unter den Augen weggestohlen«, knurrte Harry Easton. Er hatte allen Grund zum Ärger. Allein dreimal in der letzten Woche war es Banditen ohne Gewaltanwendung gelungen, einen Geldtransport auszurauben. Fatal war die Tatsache, daß noch nicht einmal bekannt war, auf welche Weise die Banditen das Geld geraubt hatten. Deswegen war Harry Easton auch heute mit von der Partie.
Seine Männer hatten die Schußwaffen entsichert und ließen nicht einen Blick von der Geldkiste.
Bayless und Webster ergriffen unter leisem Ächzen die dollarschwere Last und schleppten sie zu dem gepanzerten Transportwagen.
Easton und die anderen Polizisten rechneten jeden Augenblick mit einem Überfall. Aber nichts rührte sich, alles blieb ruhig. Die Kiste wurde ordnungsgemäß verladen. Easton und die anderen Beamten kletterten in den Laderaum des Transporters. Zwei Mann hielten die Kiste fest, die anderen beobachteten aus Schießscharten die Umgebung.
Langsam setzte sich der schwere Wagen in Bewegung. Er stand immer im Funkverkehr mit drei Streifenwagen, die dem Transport in unauffälligem Abstand folgten.
Bis zur 47. Straße ging alles gut. Bayless, der am Steuer des Wagens saß, wollte gerade die Kreuzung überqueren, als aus einer Seitenstraße ein schwerer Lastwagen auf sie zuschoß.
Verzweifelt riß Bayless das Steuerrad herum. Aber er konnte dem blechernen Ungetüm nicht mehr ausweichen. Harry Easton hatte den Vorgang durch eine Schießscharte genau mitbekommen. Er riß die Sprechmuschel seines Funkgerätes an den Mund und schrie: »Überfall!«
Gleichzeitig jaulten die Sirenen der Streifenwagen auf. Petrolmen, die vorher in Bereitschaft gehalten worden waren, riegelten das Straßenviertel um die 47. Straße in Sekundenschnelle hermetisch ab. Der Verkehr kam sofort zum Erlahmen.
Praktisch hätte kein Gangster mehr aus diesem dichten Netz von Polizisten entkommen dürfen…
***
Einen Augenblick war sie wie versteinert. Sie blickte auf den toten Harry Minton. Maßloser Schrecken stand auf ihrem Gesicht. Dann erinnerte sie sich wieder an meine Anwesenheit. Mit einem Ruck wandte sie den Kopf und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Als sie die Pistole in meiner Hand sah, öffnete sich ihr Mund.
»Nein!« rief sie. »Bitte nicht!«
»Ich habe ihn nicht erschossen,
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