0472 - Der Tiefsee-Teufel
tragen, aber er konnte nicht sicher sein, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gegeben hätte, ehe er die Geister rief und ihre Macht beschwor. Aber es war geschehen, und es ließ sich nicht mehr ändern, wie auch niemand das Wort einfängt, sobald es dem Mund entflohen ist.
Motobo war einsam.
Da war niemand mehr, der ihn brauchte. Und da war niemand mehr, den er lieben konnte. Innerhalb kurzer Zeit war seine ganze Welt ausgelöscht worden.
Und so ging Motobo, der Zauberer, davon.
Lange später erzählte man sich an den Feuern und in den Krals von Motobos schrecklicher Rache und dem Fluch, den er gesprochen hatte. Es gab wenige, die Motobo auf seiner einsamen Wanderschaft noch getroffen hatten, und sie wußten zu berichten, daß er dahinsiechte und später zurückkehrte dorthin, wo einmal sein Dorf gewesen war und wo das Schiff der weißen Teufel versank, beladen mit unermeßlichen Schätzen. Und jemand wollte auch gesehen haben, wie Motobo schließlich Abschied von der Welt nahm, um zu den Geistern zu gehen. Er sollte ins Meer hinausgeschritten sein, bis das Wasser seinen Kopf überspülte.
Ein paar Dutzend Gerüchte rankten sich um Motobo. Mancher wollte ihn Generationen später noch gesehen haben, wie er über das Wasser schritt wie jemand, der etwas sucht und es nicht finden kann. Und für eine lange, lange Zeit gerieten die alten Geschichten in Vergessenheit. Nur manchmal noch wurden sie an den Feuern erzählt, wenn die ganz Alten beisammen saßen und sich daran erinnerten, wie dieses Land einmal war, ehe die Portugiesen und später die Engländer kamen.
Weiße Teufel wie jene, die Motobos Volk vernichteten. Eroberer und Herrscher waren gekommen und wieder gegangen. Aber niemals wurde die Welt wieder so wie einst.
***
Jetzt - April 1992
»Unsichtbar? Du hast 'nen Knall, Bruderherz!« stellte Laury Doland respektlos fest. »Offenbar ist dir dein verlängerter Aufenthalt unter Wasser doch nicht so besonders bekommen. Unsichtbar… Etwas noch Dämlicheres ist dir wohl gerade nicht mehr eingefallen?«
»Ich kann es dir zeigen«, sagte John leise.
»Etwas Unsichtbares? Wie willst du es denn selbst überhaupt gesehen haben, wenn es unsichtbar ist?« Ihre Augen blitzten wütend. Sie fühlte sich von ihrem Bruder auf den Arm genommen. Erst die Angst um ihn, weil er die Tauchzeit überzogen hatte, und die Selbstvorwürfe, daß sie Boyd Randall nicht schon früher alarmiert hatte - aber bis zur letzten Sekunde hatte sie doch gehofft, daß John noch rechtzeitig auftauchte! Und nun diese Geschichte von Unsichtbarkeit… Begriff er denn nicht, was er da für einen Unsinn verzapfte?
Randall betrachtete nachdenklich die leere Aqualunge. Etwas stimmte hier nicht. Doland konnte in den letzten Minuten einfach keine Luft mehr gehabt haben. Es bestand zwar die recht geringe Möglichkeit, daß er gerade, als er auftauchte, den letzten Atemzug aus der Flasche genommen hatte - aber der Druckmangel hätte sich dennoch schon früher bemerkbar machen müssen, und bei seinem Auftauchen wäre er nicht so fröhlich und munter gewesen. Randall verstand das nicht. Und vor allem begriff er nicht, weshalb Doland so lange unten geblieben war - zu lange! Selbst, wenn er tatsächlich etwas entdeckt hatte, hätte er doch auftauchen und es den anderen sagen können.
Dann wäre entweder Boyd oder Laury getaucht, um an der Entdeckung weiter zu arbeiten und sie zu überprüfen…
Randall richtete sich auf. »Also, John«, sagte er. »Entweder gibt es da unten ein Schatzschiff, und man kann es sehen. Dann hast du es entdeckt. Oder man kann es nicht sehen, und dann kannst du es auch nicht entdeckt haben. Überhaupt frage ich mich, wie die Caravelle unsichtbar geworden sein soll. Ist sie unter Algen und Schlick getarnt?«
»Nein«, sagte Doland leise. »Das Schiff ist völlig sauber. Keine Rückstände, kein Grünspan, nichts. Geht doch hinunter und schaut es euch an - wenn ihr es findet.«
»Was soll das heißen?« fragte Randall scharf. »Wenn ihr es findet? Was willst du damit sagen?«
»Ihr könnt es nicht sehen!« Doland lachte leise auf. »Das ist alles. Ihr könnt es nicht sehen, weil es unsichtbar ist, und deshalb können es auch Beaucassers Taucher nicht sehen!«
Randall blieb unmittelbar vor Doland stehen und starrte ihn durchdringend an. »Dann verrate uns endlich, oh, großer Zaubermeister, wie du es gefunden hast! Hast du andere Augen als wir, oder lag da ein Zettel auf dem Meeresboden: Achtung, nicht gegen das
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