0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
abgetrocknet?« fragte er.
Schweigend schüttelte Liza den Kopf.
Phil schob die Hände in die Taschen. »Swift hat den Mörder gekannt«, vermutete er. »Er muß mit ihm an der Bar etwas getrunken haben.«
»Bald werden wir mit dem Mörder etwas trinken«, versicherte ich grimmig, »aber nicht Whisky, sondern bestenfalls Kaffee, und nicht an einer Bar, sondern im Vernehmungszimmer.«
***
Die Party war in vollem Gang.
Niemand fragte nach unserem Namen, als wir gegen zehn Uhr die Halle betraten. Ein Lohndiener nahm uns die Hüte und Mäntel ab. In fast allen Erdgeschoßräumen wurde getanzt. Wir sahen ein paar prominente Gesichter unter den Gästen, Politiker, Wirtschaftskapitäne, Schauspieler. Ernest Rice hatte es verstanden, eine gewisse Creme der Gesellschaft zur Belebung der Party heranzuziehen. Soweit Phil und ich feststellen konnten, war die Stimmung ausgezeichnet. Wir wußten jetzt auch, welches Ziel Swift gehabt hatte. Er hatte ursprünglich mit auf der Gästeliste gestanden.
Das Haus, eine Villa im Kolonialstil, war groß, geräumig und im Innern luxuriös, wie man es von einem Mann mit Ernest Rices Einkommenslage erwarten durfte. Im großen Salon spielte ein farbiges Musikerquartett, das sich als Cool-Jazz-Combo einen von vielen Schallplattenaufnahmen bekannten Namen gemacht hatte. Die Rhythmen wurden durch Lautsprecher auf die anderen Räume des Erdgeschosses übertragen.
Phil und ich trennten uns. Auf diese Weise konnten wir mehr sehen und hören.
Ich entdeckte Rice in einer Ecke der Bibliothek. Er saß mit einer platinblonden Schauspielerin auf einem kleinen bequemen Ledersofa. Rice befand sich offenbar in ausgezeichneter Stimmung. Es störte ihn nicht, daß vor zwei Stunden Richard Swift getötet worden war, es schien ihm auch nichts auszumachen, daß ein anderes blondes Mädchen — Lo Cockers — auf ähnlich brutale Weise aus dem Wege geräumt worden war. Ernest Rice amüsierte sich. Er hatte die Mittel dazu und schien entschlossen, den Abend in vollen Zügen zu genießen.
Faber entdeckte ich auf der Terrasse. Er sah in dem gutsitzenden Smoking zweifellos fabelhaft aus. Lässig, eine Hand in der Tasche, in der anderen ein Whiskyglas, plauderte er mit einem kleinen schwitzenden Mann.
Jemand hielt mir ein Tablett vor die Nase. Ich streckte die Hand aus und nahm mir ein Glas Champagner. Ich trank. Das Zeug stammte nicht aus Kalifornien, es war beste französische Ware.
Ich hatte wieder den seltsamen Druck im Magen, diesen ärgerlichen Knoten, der stets dann auftaucht, wenn das Wissen um Unrecht und Verbrechen mich zu ersticken droht. Ich dachte daran, daß Rice möglicherweise seine letzte Party feierte, und der Knoten begann sich zu lösen. Aber nicht ganz. Was auch geschehen würde, Lo Cockers war tot. Und Hunderte von Rices Opfern würden sich nach Rices Verhaftung andere Lieferanten suchen. Sein Wirken würde tiefe, nicht wieder tilgbare Spuren hinterlassen. Ich trank, um den bitteren Geschmack wegzuspülen, aber er blieb.
Dann sah ich das Mädchen. Sie war nicht hübscher als die meisten anderen weiblichen Gäste, und doch gab es etwas, was sie von diesen unterschied.
Ich benötigte ein paar Sekunden, ehe ich herausfand, woran es lag. Zunächst einmal das Kleid. Es war sehr hübsch, aber nicht so kostbar wie die meisten anderen Roben, die an diesem Abend getragen wurden. Es stammte vermutlich aus einem Kaufhaus. Mehr noch als die äußere Aufmachung fiel jedoch die Haltung des Mädchens ins Auge. Ja, das war es. An dieser Haltung war etwas Starres, Verkrampftes. Ihr fehlten die lockere Gelöstheit und das heitere Wesen, das an diesem Abend fast alle Gäste zur Schau trugen.
Wie alt mochte sie sein? Fünfundzwanzig, achtundzwanzig? Sie war gut gewachsen. Die Augen wirkten in dem künstlichen Licht dunkelblau; bei Tage mochten sie heller sein. Am besten gefiel mir der Mund. Er war sanft geschwungen, weder zu schmallippig noch zu voll. Das Kinn gab dem Gesicht Profil, es war ein energisches Kinn, das Kinn eines Menschen, der wußte, was er wollte.
Ich stellte das Glas aus der Hand und ging auf das Mädchen zu. Sie erschrak sichtlich, als ich mich vor ihr verbeugte. »Tanzen wir?«
Sie blickte mich noch immer an, als habe ich sie aus einem Traum gerissen. Dann wich die Starre langsam von ihr. Der Mund wurde weich, als sie sich um ein Lächeln bemühte. Wir tanzten.
»Sie sind zum erstenmal hier?« fragte ich, »Ja, zum erstenmal«, erwiderte sie mit dunkler Stimme. Sie blickte über
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