0475 - Meine Totenbraut
nicht mehr zurechtkommst. Wir werden dich aufnehmen wie eine verlorene Tochter und dich gegen den Unbill der Menschen schützen. Die Zeiten sind hart, manchmal schrecklich. Sie erfordern den gesamten Mut der Menschen, sich zu behaupten. Du bist jung, du kannst noch viel lernen, und du wirst einen Mann bekommen, der dich sehr liebt, das weiß ich. Er hat es sich nicht nehmen lassen und dir eine Kutsche geschickt, die dich zu ihm bringen soll. Der Kutscher wird so lange warten, bis du das Kloster verlassen hast. Ich habe ihm bereits die Truhe mit deinen persönlichen Sachen anvertraut. Er wird sie verladen haben. Das hier ist ein Abschied.«
Margaretha senkte die Hände und schaute die Äbtissin mit ihrem verweinten Gesicht an. »Wie sich das anhört, Abschied«, flüsterte sie. »Meine Freunde sind hier, ich zweifle plötzlich, ob mein Entschluß richtig gewesen ist.«
»Er war es, mein Kind, keine Sorge. Du hast getan, was du tun mußtest. Auch das Leben außerhalb der Klostermauern braucht starke Frauen. Werde stark, meine Tochter! Biete dem Leben die Stirn und verliere niemals deinen Glauben, der als dein Begleiter dir immer den Halt geben wird, den du im Leben brauchst.«
»Danke, Ehrwürdige Mutter.« Margaretha schluckte, bevor sie weitersprach. »Wartet der Kutscher wirklich auf mich?«
»Ja.«
»Dann muß ich jetzt gehen.«
»Das meine ich auch, mein Kind. Ich habe dir deine Kleidung schon zurechtgelegt. Geh in deine Kammer und ziehe dich um. Ich werde auf dich warten.«
»Danke.«
Margaretha erhob sich. Sie spürte den Druck, der einfach nicht weichen wollte, und sie spürte auch das Zittern ihrer Knie bei jedem Schritt, den sie ging. Margaretha schaute stur geradeaus. Sie wollte nicht mehr in die Bänke hineinsehen und auch nicht gegen die Fenster. Diese Kapelle hatte ihr stets einen Schutz gegeben, aber sie sah auch ein, daß sie nicht aus Überzeugung dem Orden hatte beitreten wollen. Ihr Kommen hatte mehr einer Flucht geglichen, einer Flucht vor einem Mann, in den sie sich verliebt hatte. Und dieser Mann, das hatte er ihr versprochen, würde sie auf Händen tragen.
Die Äbtissin ging hinter ihr. An der Tür hatte sie die Novizin erreicht, die ihre Finger in das kalte Weihwasser tauchte und ein Kreuzzeichen schlug, bevor sie die Kapelle endgültig verließ.
Beide Frauen betraten das stille Kloster. Nicht einmal das Ticken einer Uhr war zu hören, nur ihre Schritte warfen schwache Echos, obwohl beide versuchten, so leise wie möglich aufzutreten.
Der Gang, durch den sie schritten, war lang. In regelmäßigen Abständen erhoben sich, steif wie Arme, eiserne Ständer vom Boden, in denen armdicke, gelbweiße Kerzen steckten, die die Nacht über brannten und deren Feuer den Gang schwach erleuchtete.
An den Wänden waren die Schatten zu dunklen Gebilden erstarrt und bewegten sich erst, wenn die Flammen vom Luftzug der vorbeigehenden Frauen gestreift wurden.
Die Kammern der Nonnen lagen in einem anderen Trakt des Klosters. Eine breite Steintreppe führte zu ihnen hoch. Auch hier gaben brennende Kerzen das Licht ab, das auf die Stufen floß und dem harten Stein eine gewisse optische Weichheit gab.
Keine Nonne öffnete die Tür, als beide Frauen sich dem Ziel näherten. Rechts von ihnen unterbrachen kleine Rundbogenfenster das Mauerwerk, an der linken Seite lagen die zellenartigen Räume mit ihren kargen Einrichtungen.
Keine Tür war verschlossen, auch die der Novizin nicht. Margaretha betrat den Raum. Es war nicht dunkel. Die Oberin hatte vor ihrem Treffen mit der Novizin ein kleines Öllicht angezündet. Die Kleidung lag wohlgeordnet über dem Stuhl.
Margaretha weinte, als sie sich ihrer Tracht entledigte. Das Ablegen war gleichzeitig ein Abschied, und sie streifte die Sachen über, die sie auch getragen hatte, als sie in das Kloster gekommen war.
Ein langes Unterkleid, ein dickeres darüber, dunkel in den Farben gehalten, und ihren umhangähnlichen Mantel, der bei raschen Schritten aufwehte wie eine große Flagge.
Sie strich durch ihr Haar, das sie hochgesteckt hatte, und löste es, so daß die schwarze Flut bis hinab auf ihre Schultern fiel, wo sie sich fächerartig ausbreitete.
Einen letzten Blick warf sie noch auf das Holzkreuz an der Wand. Es war sehr schlicht. Das Öllicht strahlte es von unten her an, so daß es sich deutlich von der Wand abhob.
Darunter stand die schmale Betbank, auf der Margaretha so oft gekniet hatte.
Hastig wandte sie sich um, der Mantel beschrieb dabei einen
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