0479 - Der Blutjäger
an.
»Ja«, sagte er, und die Kerzenflamme tanzte wild unter seinem Atem auch ein Zeichen dafür, daß er zu der neuen Generation der Unsterblichen gehörte, die den jahrtausendealten Traditionen der Alten entwachsen war. Die neue Generation war überlebensfähiger als die Alten, zu denen noch ein gewisser Dracula gehört hatte.
»Ja«, wiederholte Sir Ronald. »Sie gefällt mir. Sie könnte die richtige für mich sein. Berichte mir. Wer ist sie? Wo hast du sie entdeckt? Und« und seine Stimme klang plötzlich etwas dumpfer, besitzergreifender, »warum hat sie sich dir für deine Fotos in derart schamlosen Posen gezeigt?«
»Ich will es Euch gern erklären, Sir«, eiferte Brian. »Lauschet dem Bericht Eures untertänigen Dieners…«
***
Professor Zamorra nahm einen Schluck Wein, drehte den Stiel des Glases zwischen zwei Fingern und lehnte sich, nachdem er das Glas wieder abgesetzt hatte, bequem in den Ledersessel zurück, auf dessen breiter Lehne seine Gefährtin Nicole Duval saß. In ihrer leicht angespannten Haltung glich sie einem sprungbereiten Raubtier.
»Für eine Weile hätte ich an dir zweifeln können, mein Bester«, sagte er.
Der Mann, der ihm gegenübersaß, lächelte dünn. »Das überrascht mich«, gestand er. »Bisher hast du mich doch immer gegen alle Zweifler verteidigt. Du und deine Kampfgefährtin.« Er nickte Nicole zu.
Zamorra verzog das Gesicht. Nicole zog den Saum ihres Kleides tiefer über die Knie. »Bisher hast du uns beiden ja auch noch keinen Grund gegeben, dir zu mißtrauen, Sid«, erwiderte sie an Zamorras Stelle. »Aber diesmal hast du dich wieder Asmodis genannt und dich mit deinen Verbindungen zu den Dämonen der Schwefelklüfte gebrüstet.«
»Und sie haben dir gehorcht, als du sie riefest, um mit ihnen zusammen und mit Julians Träumen Merlins Fehler auszubügeln. Aus welchem Grund sollten Erzdämonen wie Astaroth und Astardis, und sogar der mächtige Lucifuge Rofocale, jemandem folgen, der keine Macht mehr besitzt?«
Sid Amos, der einmal als Asmodis Fürst der Finsternis und damit Herr der Schwarzen Familie der Dämonen gewesen war, zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie eingesehen, daß wirklich nur eine enge Zusammenarbeit noch etwas retten konnte. Immerhin bedrohte ein weit gefährlicherer Gegner sowohl weiß- als auch schwarzmagische Kräfte. Eine Zusammenarbeit war daher vollkommen logisch.« Er hob die rechte Augenbraue, und für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wolle Sid Amos sich über sie lustig machen, indem er seinen Ohren eine nach oben zugespitzte Form gab. Aber im nächsten Moment sah er wieder wie ein ganz normaler Geschäftsmann aus, mit seinem schmalen, etwas hakennasigen Gesicht, dem kurzen, glatten Haar und dem taubenblauen Westenanzug modischen Zuschnitts. Asmodis/Sid Amos war ein Meister der Maske; er gehörte zu jenen Dämonen, die sich jede beliebige Gestalt geben konnten. Er besaß einige Dutzend Tarnexistenzen überall auf der Welt, konnte jederzeit in die entsprechenden Rollen schlüpfen, wenn es ihm sinnvoll erschien. Zamorra und Nicole wußten, daß er etliche Male auch in Gestalt einer Frau aufgetreten war, um seine Ziele zu verfolgen - die mittelalterlichen Geschichten vom Teufel, der als succubus und incubus abwechselnd beide Geschlechter annehmen konnte, kamen nicht von ungefähr.
Sid Amos zuckte mit den Schultern. »Als man euch erzählte, ich hätte mich als Asmodis vorgestellt wie in alten Zeiten, habt ihr also gleich einen erneuten Seitenwechsel angenommen«, fuhr er kopfschüttelnd fort. »Kennt ihr mich wirklich so schlecht?«
»Dann nenne uns einen plausiblen Grund, warum du dich Asmodis nanntest und nicht Sid Amos«, verlangte Zamorra. Immerhin, die Logik der Zusammenarbeit der Erzdämonen mit Merlin und auch mit Julian war nicht abzuleugnen.
»Was haltet ihr davon, wenn ich euch das Stichwort Zeitschatten gebe?« fragte Amos.
»Was meinst du damit?« fragte Zamorra. Er griff wieder nach dem Weinglas, nippte daran und reichte es an Nicole weiter.
»Ihr habt doch festgestellt, daß schon im zeitlichen Vorfeld von Merlins Silbermond-Aktion Veränderungen eingetreten sind. Zum Beispiel die Metro-Phantome in Moskau.«
»Die seltsamen Visionen, die wir hatten, noch ehe wir zum Silbermond gingen«, ergänzte Nicole zustimmend. Zamorra entsann sich, sein Château Montagne als rauchenden Trümmerhaufen gesehen zu haben, Ted Ewigk hatte davon berichtet, daß seine Villa in Rom von einem gigantischen Spinnennetz
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