0479 - Der Blutjäger
zwingen.
Nein, da war es besser, sein Entstehen erst gar nicht zuzulassen.
Es sei denn, es handelte sich um eine Gefährtin, mit welcher Sir Ronald die nächsten Jahrhunderte Zusammenleben konnte. Die Einsamkeit des Unsterblichen mochte dadurch erträglicher werden.
Nur: es durfte kein »überlebendes« Ex-Opfer sein. Sir Ronald würde es immer nur als Beute sehen, nicht als eine Partnerin, die er respektieren konnte. Das war sein Problem. Wo aber fand man eine Frau, die freiwillig zu einer Vampirin wurde?
Mehrfach schon waren Sir Ronalds Versuche im Verlauf des letzten Jahrhunderts gescheitert. Aber irgendwann mußte es doch einmal funktionieren.
Während er die freizügigen Bilder dieses Fotomodells betrachtete, hatte er ein gutes Gefühl. Vom äußeren Erscheinungsbild her gefiel sie ihm außerordentlich gut, und sie schien auch Freude an ihrem Körper und ihrer Schönheit zu empfinden, sonst würde sie sich nicht in solch geradezu schamloser Art zeigen. Sie war das genaue Gegenteil von Lady Aurelia. Damals hatte Sir Ronald sie geliebt, trotz ihrer vielen Unzulänglichkeiten in körperlicher wie in geistiger Hinsicht. Aber sie war längst tot, und er war unsterblich geworden. Er lebte nun schon mehr als dreihundert Jahre allein. Dennoch war die Erinnerung an seine einstige Gemahlin in ihm kaum verblaßt.
Aber er konnte nicht für den Rest seines noch unabsehbar langen Lebens einer Erinnerung nachhängen.
Sir Ronald legte die Fotos aus der Hand. »Nun gut«, sagte er. »Du wirst mich zu dieser jungen Frau führen. Ich will doch hoffen, daß du dir gemerkt hast, wo sie zu finden ist und wie sie heißt.«
»Natürlich, Herr«, versicherte Brian sofort. »Die Fotoagentur befindet sich…«
»Narr!« entfuhr es Sir Ronald »Nicht die Agentur! Dort dürfen weder ich selbst noch du ein zweites Mal dich sehen lassen! Das würde Verdacht erregen. Die Wohnung und den Namen jenes Mädchens - darum geht es!«
»Ach so«, seufzte Brian, und Sir Ronald begann zu befürchten, daß sein Diener die Agentur nicht nur deshalb aufgesucht hatte, um, ähnlich wie bei einer Heiratsvermittlung, an Bilder und Adressen zu kommen, sondern weil er sich selbst an den Mädchen ergötzen wollte. »Ihr solltet, Herr, die Bilder umdrehen. Auf der Rückseite findet Ihr nicht nur die Kennziffer, unter welcher das Mädchen bei seiner Modellagentur registriert ist, sondern auch den Namen und die Telefonnummer.«
Sir Ronald sah Brian strafend an.
»Dann finde anhand der Telefonnummer die Adresse heraus! Aber hüte dich, das Mädchen anzurufen, das könnte Verdacht erregen! Nimm dir das Telefonbuch und suche! Muß man denn hier alles selber machen?«
»Das ist aber eine lausig langweilige und langwierige Arbeit«, maulte Brian.
Sir Ronald erhob sich. »Du hast die Wahl, zu tun, was ich dir befehle, oder bestraft zu werden«, sagte er drohend.
»Ja, schon gut, Herr. Euer untertänigster Diener eilt, Euren Wunsch zu erfüllen.«
»Nicht Wunsch - Befehl!« brüllte Sir Ronald ihm nach. Dann ließ er sich wieder in seinen Sessel nieder und betrachtete die Fotos - auch von der Rückseite.
Das stand nur ein einziger Name. Das war in der heutigen Zeit ungewöhnlich. So ungewöhnlich wie der Name - vermutlich ein Künstlername - selbst:
Rhiannon.
***
Nachdem sie Sid Amos’ Zimmer verlassen und den Treppen- und Liftbereich des Hotels erreicht hatten, lehnte sich Nicole Duval an ihren Lebensgefährten. »Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?« fragte sie leise.
»Es gibt da mehrere Möglichkeiten«, überlegte Zamorra. »Wir können uns in das Nachtleben von El Paso stürzen - sofern es eins gibt.«
»Sicher wird es das geben, aber wenn du Pariser Niveau verlangst, wirst du vermutlich enttäuscht sein. Wir sind hier in den Südstaaten der USA. Alles, was mit dem Nachtleben zu tun hat, wie wir Europäer es verstehen, ist hier recht anrüchig. Entsprechend ist das Ambiente.«
»Du machst mir richtig Mut«, versicherte Zamorra. »Woher weißt du das alles?«
»Frau informiert sich halt«, sagte Nicole. »Okay, es gibt jede Menge seriöse Theater und Kinos. Aber wenn du auf ein halbwegs erotisches Programm hoffst, wirst du dich vergeblich umsehen. Ein paar plumpe Strip-Spelunken gibt es, bei denen sogar das Publikum auf die Bühne springen und körperliche Unzulänglichkeiten exhibitionieren darf, aber ich denke doch, daß das weit unter unserem Niveau ist.«
Zamorra nickte. »Existiert deine paradiesisch ausgestattete Boutique
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