0479 - Der Blutjäger
Ronald, der 4. Earl of Teltow, hatte seine Ruhe gefunden.
Rhiannon schrie. Sie feuerte das ganze Magazin auf Sid Amos ab. Der Ex-Teufel fing die Kugeln nacheinander mit der linken Hand aus der Luft. Als Brian, der Diener, an ihm vorbei die Flucht ergreifen wollte, riß Sid Amos mit einem Gedankenbefehl seine Hand aus dem Vampirstaub an den Armstumpf zurück und schleuderte sie geradezu beiläufig einen weiteren Gedanken weit in den Nacken des Flüchtenden. Der »ferngesteuerte« Handkantenschlag fällte den Diener; bewußtlos blieb er liegen.
Amos holte seine Hand zum zweiten Mal zurück und näherte sich Gryf, der immer noch bewegungsunfähig zwischen den Blumen lag.
»Schätze, du hast ein kleines Problem, Druide«, sagte er.
Gryf preßte die Lippen zusammen und versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihm immer noch nicht. »Du bist gelähmt«, sagte Amos. »Tut mir leid, wenn ich dir keine andere Diagnose stellen kann. Aber das Gift, das ihr beide als ahnungslose Engel getrunken habt, wirkt auch künftig weiter. Ihr müßt euch beide behandeln lassen.«
»Von dir, wie?« stieß Gryf hervor. »Eher sterbe ich.«
Er sah Rhiannon immer noch in fassungslosem Entsetzen dastehen, die Waffe in der Hand, die sie um ein Haar auf Gryf abgefeuert hätte, und ihm hallte noch der Donner der Schüsse in den Ohren. Aufgeschreckte Nachbarn drängten sich jetzt, da es ruhig geworden war, in der zertrümmerten Tür; irgendwo ertönte eine Polizeisirene und näherte sich rasch.
»Er ist tot…«, flüsterte Rhiannon erstickt. »Er ist - tot…«
»Ich kenne jemanden, der euch beide heilen wird«, sagte Amos trocken. »Dann wird sich euer beider Verhältnis wohl wieder entspannen, und ihr könnt miteinander anstellen, was ihr wollt - euch ohrfeigen oder abknutschen. Du wirst diesen Vampir vergessen, Mädchen. Er hätte dir weniger Glück gebracht als es dieser wilde Blondschopf vermag. Und die Unsterblichkeit eines Vampirs ist, wie man sieht, eine recht relative Sache.«
Amos bückte sich und hob Gryf aus den Blumen hoch. Der Druide konnte sich nicht auf den Beinen halten; Amos mußte ihn stützen. »Ich bringe euch beide in Sicherheit, ehe die Polizei herkommt und Fragen stellt, die ohnehin niemand beantworten kann«, sagte er.
»Er ist tot«, wimmerte Rhiannon immer noch. Schritt um Schritt entfernte sie sich rückwärts von dem Staub- und Kleiderhaufen, erreichte plötzlich das Fenster - und warf sich mit einem gellenden Aufschrei rückwärts dagegen.
Das Glas barst. Sekundenlang schien Rhiannon in der Luft zu schweben, dann war sie verschwunden.
»Nein!« schrie Gryf gellend auf. »Nein!«
Amos schleuderte seine Hand. Doch er verfehlte Rhiannon. Es war zu schnell gegangen, zu unvorhersehbar. Die Hand, die das Mädchen noch im Sturz packen und abfangen sollte, kehrte leer an den Armstumpf zurück.
Gryf fühlte sich sterbenselend. Übelkeit stieg in ihm auf, und er verlor die Besinnung. Daß Amos mit ihm vor den Augen der verblüfften Schaulustigen einfach im Nichts verschwand, bekam er schon nicht mehr mit.
***
Amos bettete den Körper des Druiden auf eine Liege. »Heile ihn«, bat er die Person, zu der er ihn gebracht hatte. »Heile seinen Körper, aber heile auch seinen Geist, denn er ist hoffnungslos, weil er etwas Großes, Einmaliges verloren hat. Vielleicht solltest du ihm auch die Erinnerung daran nehmen, denn die Wunde in seiner Seele ist unendlich groß.«
Sein Gegenüber nickte. »Ich werde tun, was ich vermag.«
Amos wandte sich zur Seite. Vielleicht hatte er etwas zu spät eingegriffen, aber darum machte er sich keine Gedanken. Gryf lebte, das war wichtig. Und eines Tages würde der Druide ihm dafür dankbar sein. Schon jetzt, durch die bevorstehende Heilung, stand er in Sid Amos’ Schuld.
Den Preis dafür empfand der Ex-Teufel als nicht zu hoch. Denn das Menschliche war ihm immer noch fremd.
ENDE
[1] Siehe Professor Zamorra Nr. 475 »Der Drache der Zeit«, und folgende
[2] Siehe Professor Zamorra Nr. 476 »Die Hölle auf Erden«, Professor Zamorra Nr. 477 »Das Schwert des Träumers«
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