048 - Blut für Lukretia
Bewegungen waren geschmeidig, ihr Körper bewegte sich anmutig. Ihr langes Haar reichte fast bis zu den Knien. Es hatte die Farbe geändert, jetzt war es korngelb. Sie trug nur den roten Bikini, den Umhang hatte sie abgelegt. Ihr Gesicht wirkte ungewöhnlich anziehend, und seltsamerweise ging von ihr nicht die Ausstrahlung aus, die Dorian bei anderen Dämonen kannte. Hätte er Lukretia unter anderen Umständen kennen gelernt, wäre er nie auf den Gedanken gekommen, eine Vampirin vor sich zu haben. Sie wusste um die Schönheit ihres Körpers und setzte seine Reize hemmungslos ein.
»Ich habe meine Instruktionen erhalten«, sagte sie. »Wir fliegen morgen nach Bombay. Ich habe veranlasst, dass eure Habseligkeiten aus dem Hotel geholt werden.«
»Wohin fahren wir dann?«
»Das werde ich euch in Bombay sagen«, meinte Lukretia kühl. Sie streckte die rechte Hand aus. An ihrem rechten Oberarm befanden sich drei Reife, auf dem linken nur einer. Sie griff nach einem bauchigen Krug und steckte die Hand hinein. Ein lautes Zischen war zu hören. Der gewaltige Schädel einer Königskobra tauchte auf, die gespaltene Zunge bewegte sich rasch, und die Augen schienen Dorian bösartig zu fixieren. Träge schlängelte sich die Kobra um Lukretias Arm, kroch über ihre Schultern und schob den hässlichen Schädel in das lange Haar. Dorian hatte nie zuvor eine so riesige Kobra gesehen. Ihr Leib war so dick wie sein Arm.
»Ein nettes Haustier«, sagte er sarkastisch. Wenn er vorher gewusst hätte, dass sich eine Königskobra im Zimmer befand, wäre er nicht so ruhig gewesen.
Lukretia nickte und streichelte die Schlange liebevoll. »Ich habe ein halbes Dutzend Schlangen im Haus.«
»Hoffentlich kriechen sie nicht frei herum.«
Die Vampirin lächelte. »Hast du Angst vor Schlangen?«
»Nein«, sagte Dorian. »Aber ich würde deine Reptilien töten, wenn sie mir über den Weg laufen.«
»Sie sind völlig harmlos«, versicherte Lukretia. »Sie gehen nur auf Menschen los, wenn ich es ihnen befehle.«
Der Dämonenkiller war in seiner Laufbahn schon den seltsamsten Wesen begegnet, doch noch nie hatte er erlebt, dass sich eine Vampirin Schlangen als Haustiere hielt. Die Kobra kroch über Lukretias Schulter und ringelte sich jetzt um den linken Arm. Sie hob den Schädel, riss das Maul auf und fauchte Dorian an, der sich davon aber nicht beeindrucken ließ. Er wusste, dass viele Menschen in Indien und Thailand eine abergläubische Ehrfurcht vor Kobras haben. Die Kobra wird seit alters her als heiliges Tier verehrt. Die Ehrfurcht, die man diesen todbringenden Reptilien zollt, entstand aus dem Sagenkreis, der sich um Buddhas Leben gebildet hatte. Die Überlieferung behauptet, dass einst eine Kobra mit ihrem breiten Kopf das Gesicht des schlafenden Buddhas gegen die glühenden Strahlen der Sonne schützte. Als Belohnung dafür soll der Kobra göttliche Gnade und ewiger Schutz versprochen worden sein.
Dorian griff nach seinem Glas, und die Schlange wiegte den Kopf hin und her.
»Eine Vampirin, die sich Schlangen hält«, sagte Dorian und trank einen Schluck. »Man lernt nie aus.«
Lukretia lächelte und streichelte zärtlich den schuppigen Schlangenkörper. »Schlangen sind für mich die anmutigsten Tiere, die es gibt. Wollt ihr meine anderen sehen?«
»Danke«, sagte Dorian, »mir reicht das eine Exemplar.«
Doch Lukretia hörte nicht auf ihn. Sie stieß einen schrillen Pfiff aus. Unwillkürlich zuckten Dorian und Coco zurück. Aus einem Augenschlitz einer Maske kroch eine Harlekinschlange, eine Pamaschlange folgte. Aus einem hohen Krug erhob sich eine Klapperschlange. Aus welchem Winkel die grüne Mamba und die Riesenkorallenotter kamen, konnte Dorian nicht sehen. Sie waren plötzlich da, ringelten sich um Lukretias Arme und Beine, wanden sich um ihren Hals – die dreieckigen Schädel mit den langen Zungen umschmeichelten ihren Kopf.
Dorian blickte Lukretia an. Die Vampirin wurde ihm immer unheimlicher.
»Ich werde euch vermissen«, sagte Lukretia zu den Schlangen, »aber in ein paar Tagen bin ich wieder zurück.«
Guido Sera trat ins Zimmer. Er sagte etwas zu Lukretia, das Dorian und Coco nicht verstanden. Die Vampirin nickte, und Guido zog sich zurück.
»Euer Gepäck ist gekommen«, sagte Lukretia. »Guido bereitet für euch ein Zimmer im ersten Stock vor.«
Dorian hatte wenig Lust, im Haus der Vampirin zu übernachten, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Er knöpfte sich unauffällig den obersten Knopf seines Hemdes auf und
Weitere Kostenlose Bücher