0480 - Champagner-Party bei Capone
aufgeschlossen«, gab er zu. »Um ehrlich zu sein, die Schlüssel lagen sogar noch nebenan im Büro des Dienstellenleiters.«
Na ja, dachte ich, manchmal macht es sich eben bezahlt, wenn man nicht auf die Minute pünktlich ist.
»So«, sagte der Kleine dicke Mediziner selbstzufrieden, während er ein Pflaster aus seinem schwarzen Köfferchen auf meinen Handrücken drückte. »Sie haben Glück gehabt. Um Haaresbreite an der dicken Ader vorbei. Eigentlich nur die Haut angekratzt.«
»Für den kleinen Kratzer haben Sie immerhin fünf Liter Jod verbraucht, oder?« fragte ich aggressiv zurück.
Er grinste belustigt, klopfte mir auf die Schulter, wozu er sich auf die Zehenspitzen stellen mußte, und verschwand mitsamt seinem schönen Köfferchen. Schon vorher hatten ein paar Angestellte der Hausverwaltung den verwundeten Gangster mit einer Trage hinauf ins Erdgeschoß befördert, um dort die Ankunft der bestellten Krankenwagen abzuwarten. Ich selbst machte mich auf den Weg hinab zum dritten Kellergeschoß, um dort die Untersuchungen in dem Mordfall an dem Beamten vom Schatzamt weiter zu verfolgen.
Daß ich im unteren Keller nicht ankam, lag eigentlich nur an einer winzigen Kleinigkeit…
***
Im A-Flur der 72. Etage befanden sich die Büros eines Mannes, der bewiesen hatte, daß Amerika noch immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Als Barry Dolligan vor zwölf Jahren auf eine Zeitungsanzeige stieß, in der die später von ihm gemieteten Räume als frei geworden angezeigt wurden, hatte er eine Idee. Er stellte ein paar Nachforschungen an und erfuhr, daß sich in diesem Riesengebäude täglich rund zwanzigtausend berufstätige Menschen aufhielten. Dolligan mietete die Büros und ließ von der hauseigenen Spedition Handzettel vor jeder einzelnen Zimmertür verteilen.
»Beteiligen Sie sich an der Staatslotterie! — Wir nehmen alle legalen Wetten für Sie an! Unsere Büros schließen nie! — Bet-Barry, 72. Etage, A-Flur«.
Dolligan wurde unter dem Namen Bet-Barry eine berühmte Persönlichkeit in dem Gebäude. Und er hatte richtig spekuliert. Die Wettleidenschaft der Amerikaner brauchte nur ein wenig gekitzelt zu werden; man mußte ihnen eine günstige Gelegenheit nur vor die Nase setzen, um die Dollar rollen zu lassen. Dazu kam, daß Bet-Barry Glück hatte. Innerhalb der ersten vier Jahre fielen fünf sehr große Gewinne aus der Staatslotterie an Leute, die ihren Einsatz in Bet-Barrys Büro gemacht hatten. Bald konnte er sich rühmen, täglich fünftausend einzelne Einsätze zu allen möglichen Wettarten anzunehmen.
Denn Bet-Barry hatte nicht zu viel versprochen: Seine Büros waren vierundzwanzig Stunden am Tage geöffnet. Und wer genug Phantasie hatte, konnte auf die ausgefallensten Dinge wetten: auf den Ausgang englischer Wahlen oder das Resultat von Fußballspielen irgendwo auf dem Globus.
Es war neun Uhr siebenundvierzig, als an diesem Vormittag Sim Crude die Zimmerflucht betrat, die zu Dolligans Buchmacher-Firma gehörte. Die Verbindungstüren zwischen den einzelnen Büros standen offen. Man konnte in eine Reihe von sechs Räumen blicken, wo die verschiedensten Wettscheine und Lose verkauft wurden. Hinter den Barrieren tickten Fernschreiber Resultate aus aller Welt, pausenlos klingelten Telefone, und Fernsehgeräte übertrugen besondere Sportveranstaltungen, so daß man nicht nur das Resultat sehen konnte, sondern auch, wie es dazu gekommen war.
Wie üblich herrschte in den Annahmestellen reger Betrieb. Hunderte von Leuten aus dem Hause, die sich rasch einmal für zwei, drei Minuten von ihrer Arbeit fortgestohlen hatten, plazierten flüsternd ihre Wetten, damit andere nichts hören und ihnen die Quoten verderben konnten. Sim Crude, der trotz seiner vierundzwanzig Jahre ein alter Hase in Wettgeschäften aller Art war, trat an die Barriere, winkte lässig einen von Bet-Barrys Angestellten heran und sagte:
»Ich möchte ein Viertellos der Staatslotterie. Aber nur, wenn Sie die Nummer 2828282 aus der B-Serie haben.«
Bei Bet-Barry war man viel ausgefallenere Wünsche gewöhnt. Der Clerk zuckte nicht einmal mit der Wimper.
»Ich sehe schnell nach«, versprach er, verschwand in einem der inneren Räume und kam nach kaum zwei Minuten später schon mit dem verlangten Los zurück. »Da ist es, Sir. Die erste Ziehung findet bereits morgen statt, Sir.«
Sim Crude nickte gleichmütig, während er seinen Blick umherschweifen ließ. Soweit er durch die offenstehenden Verbindungstüren die anderen
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