0482 - Der Ring des Hexers
Gryf den Alten wieder. Er begriff ihn weniger denn je.
***
Pietro Cataloni war entsetzt. Der Schock, daß das vierarmige Monstrum Ilona überwältigt hatte, riß sein verdrängtes Unterbewußtsein wieder an die Oberfläche. Aber er hatte keine Chance. Rano, der Hexer, drängte ihn sofort wieder zurück. Rano war bestürzt, daß es Cataloni gelungen war, wieder aufzutauchen und gegen die Behandlung seiner Freundin zu protestieren. Dabei hatte Rano geglaubt, ihn besser denn je unter seiner Kontrolle zu haben. Aber offenbar war die emotionelle Bindung seines Wirtskörpers zu dem Mädchen so stark, daß schon der optische Reiz ausreichte, sein Bewußtsein zu reaktivieren. Es mußte da eine neutrale Rückkopplung geben, die Rano bisher noch nicht entdeckt hatte. Aber er mußte sich unbedingt darum kümmern und diese Verbindung unterbrechen, wenn er nicht das Risiko eingehen wollte, daß Cataloni noch einmal zurückkehrte. Schon jetzt war es schwierig, ihn abermals zu verdrängen. Die Sorge um seine Freundin war stark und animierte das Restbewußtsein zu ungeheuerer mentaler Kraftentfaltung. Das war nicht gut. Rano bedauerte, daß er ihn nicht völlig ausschalten konnte. Aber dann würde der Wirtskörper sterben. Das bedeutete, daß Rano ihn nur noch so lange würde benutzen können, bis der Tote ins Verwesungsstadium überging.
Aber ein toter Cataloni nützte ihm nichts. Denn dann war Rano wieder im Ring gefangen. Aber wenn er den Trägerkörper wieder wechseln mußte, wollte er den Nachfolger selbst auswählen können. Außerdem war da die Ungewißheit, wann der Ring wieder einen neuen Besitzer bekommen würde. Zu lange war er darin verbannt gewesen, und jetzt konnte er endlich wieder eine körperliche Existenz genießen. Das wollte er nicht so schnell wieder aufgeben müssen.
Er krümmte sich zusammen, versuchte Cataloni einen solchen mentalen Hieb zu versetzen, der ihn für die nächste Zeit betäubte. Vor allem für den Augenblick, wo die Opferung stattfand und Rano zu seiner Rache kam!
Rano wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, bis er wieder sicher sein konnte, die Kontrolle über den Körper auszuüben. Er überlegte, ob es nicht besser wäre, ein anderes Opfer zu wählen als diese Frau, die in Catalonis Restbewußtsein eine so unwahrscheinlich starke Reaktion ausübte.
Aber er war mit ihr jetzt bereits einen Schritt zu weit gegangen. Er konnte sie nicht mehr am Leben lassen. Sie hatte zu viel gesehen. Die körperliche Veränderung war ihr aufgefallen, das hatte er sehr wohl gemerkt. Und sie hatte das Monster gesehen, das sie niederschlug.
Sterben mußte sie also ohnehin, und in diesem Fall wäre es Verschwendung, noch ein anderes Opfer zu wählen. Es mochte auch auffallen. Aus Catalonis Erinnerung hatte Rano erfahren, welch dichtes Netz heutzutage unter den Menschen gesponnen war und wie empfindlich sie im Zeitalter furchtbarer Verbrechen selbst auf Kleinigkeiten wie Entführung oder Mord reagierten, die früher praktisch an der Tagesordnung gewesen waren. Wer regte sich damals schon darüber auf, wenn ein Herrscher mißliebige Untertanen einfach verschwinden ließ, oder wenn Räuber einen reichen Reisenden überfielen - höchstens der Betroffene selbst. Und wer fragte den schon nach seiner Meinung?
Aber heute mußte Rano vorsichtig sein. Er wollte nicht mehr Aufsehen erregen als unbedingt nötig.
Deshalb mußte auch Ilonas Auto verschwinden. Er erinnerte sich, daß sie mit ihrem Fiat gekommen sein mußte. Der stand nun vor seiner Haustür. Vermutlich war es das beste, wenn er den Wagen so schnell wie möglich wegschaffte - oder noch besser wegschaffen ließ. Aber es mochte Nachbarn geben, die ausgerechnet jetzt herschauten. Also mußte der Fahrer des Wagens aussehen wie Ilona Marchese. Gerade wollte Rano erneut am Ring drehen und seinem Monster das Aussehen Ilonas geben, als er durchs Fenster eine junge Frau sah, die die Straße entlang schlenderte, am Fiat stehenblieb, einen Blick hinein warf und dann langsam weiter schlenderte. Zwischendurch sah sie immer wieder betont unauffällig zum Haus.
Daß jemand bei dieser Sommerhitze freiwillig einen längeren Spaziergang machte, war so gut wie ausgeschlossen. Zudem sagte Catalonis Erinnerung dem Hexer nichts über diese Frau. Sie gehörte nicht zu den Bewohnern des Ortes.
Eine Fremde, die sich so auffällig für das Haus und für Ilonas Wagen interessierte! Etwas stimmte daran nicht. Ilona Marchese konnte einfach noch nicht vermißt werden, und es paßte
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