0482 - Der Ring des Hexers
abgedankt, als er der Machtfülle überdrüssig geworden war. Er war weder gut noch böse. Doch jetzt erschien er Gryf wieder wie ein trotziges, grausames Kind, das einen Käfer zwischen seinen Fingern zerdrückt, wenn er nicht so über die Hand laufen will, wie das Kind es wünscht.
Der Käfer war Gryf.
Und Gryf fragte sich, warum in aller Welt Julian sich ausgerechnet für Asmodis so sehr interessierte.
Er begann zu reden.
***
Stygia war nicht so dumm, genau dort zu materialisieren, wo die Beschwörung stattfand. Schließlich wollte sie zunächst nur sondieren, und wenn die Beschwörung nicht so funktionierte, wie der Zauberer es sich vorstellte, mochte er in Verwirrung geraten und Fehler begehen. Stygia tauchte in der Nähe des Hauses auf. Blitzschnell orientierte sie sich.
Was sie sah, verblüffte sie ein wenig.
Sie befand sich in einem italienischen Dorf. Wo genau, war momentan unwichtig, aber es war früher Abend, und der drückenden Hitze wegen war niemand auf der Straße. Mit einer Ausnahme: eine junge schwarzhaarige Frau, die nahe einer Telefonzelle neben einer BMW-Limousine auf etwas wartete. Das Kennzeichen fiel Stygia sofort auf - es war französisch!
Ein Verdacht stieg in ihr auf, und sie sondierte sofort die Gedanken der Frau neben dem Auto. Tief atmete die Dämonin durch. Es handelte sich zwar nicht um Nicole Duval - dann wäre Stygias Versuch, ihre Gedanken zu lesen, ohnehin gescheitert -, aber der Wagen gehörte tatsächlich Professor Zamorra! Der war scheinbar hierher unterwegs, seine Gefährtin Nicole in jenem Haus in Schwierigkeiten, in welchem der Höllenzwang ausgesprochen worden war, und die Frau selbst hörte auf den Namen Carlotta und versuchte verzweifelt, zwei sich überlagernde Erinnerungen unterschiedlichen Inhalts zu sortieren und herauszufinden, welche die richtige war - ein ziemlich sinnloses Unterfangen, weil die falsche Erinnerung ihr durch Hypnose aufgezwungen worden war, und dagegen kam sie natürlich auf normalem Wege und allein nicht an. Allerdings mußte die Hypnose äußerst lausig durchgeführt worden sein, weil Carlotta immerhin wußte, daß etwas mit ihrem Gedächtnis nicht stimmte!
In jenem Haus befand sich jedenfalls möglicherweise ein Mann im Besitz eines Ringes, der das Bewußtsein eines Hexers bergen sollte. Das zumindest ging aus einer der beiden Erinnerungen Carlottas hervor. Plötzlich begriff Stygia - die Sache mit dem Ring mußte stimmen, und das Bewußtsein des Hexers, laut Carlottas Erinnerung von Asmodis in diesen Ring gebannt, mußte sich befreit haben und beschwor jetzt den Fürsten der Finsternis. Das erklärte die Unkenntnis des Beschwörers über die derzeitige Situation.
In diesem Moment faßte Stygia einen geradezu verrückten Plan. Und sie machte sich unverzüglich an die Ausführung.
***
Nicole Duval erwachte und fand sich gefesselt und geknebelt auf einer harten, flachen Unterlage wieder. Es war stockdunkel. Der Raum, in dem sie sich befand, besaß nicht einmal ein Fenster. Frischluft kam demzufolge nur herein, wenn die Tür geöffnet wurde. Trotzdem befürchtete Nicole nicht, daß ihr die Atemluft knapp würde - man hatte sie nicht lebend gefangengenommen, um sie hier ersticken zu lassen. Der alte Mann, der sie mit seinem Wurfgeschoß erwischt hatte, hatte sicher etwas mit ihr vor.
Bestimmt nichts Gutes. Denn sonst hätte er nicht zuerst jenes vierarmige Monstrum auf sie gehetzt.
Die anfangs von Nicole recht locker betrachtete Suche nach dem Ring war zu einem Stoß ins Wespennest geworden!
Nicole stellte fest, daß sie immerhin noch ihre durchgeschwitzte Kleidung trug - so wenig das auch war. Was sie nicht mehr trug, war das Amulett. Aber zumindest das war kein Problem. Sie konnte es jederzeit wieder zu sich rufen, wenn sie es benötigte. Nur konnte das Amulett ihr nicht dabei helfen, Fesseln und Knebel loszuwerden.
Sie versuchte den Knebel mit der Zunge fortzustoßen, schaffte es aber nicht - er steckte zu tief und zu fest und erregte in ihr um so mehr Übelkeit, je heftiger sie es versuchte. Als sie sich bewegte, um die Festigkeit ihrer Fesseln zu erproben, merkte sie, daß sich die Fläche, auf der sie lag, bewegte. Sie erzitterte, schwankte leicht.
Wo, beim Donnerzahn der Panzerhornschrexe, bin ich hier gelandet? fragte Nicole sich. Je heftiger sie sich bewegte, desto heftiger wurden auch die Schwankungen - und dann brach der ganze Klapperatismus plötzlich unter ihr und mit ihr zusammen! Sie fiel etwa einen Meter tief, kam hart
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