0484 - Die Rächerin aus Aibon
er zögernd. Er drehte den Kopf nach rechts und links, die Blicke zeigten Angst.
Sie waren auf den parkenden Truck gerichtet, dessen große Räder ihn an schwarze Glotzaugen erinnerten, die alles vernichten wollten.
Sie gingen nach rechts. Muriel blieb an der Seite ihres Bruders. Auch sie war mittlerweile noch mißtrauischer geworden. Sie hatte ebenfalls die Veränderung bemerkt, die sich auf dem Hof ausbreitete.
Abrupt blieb sie stehen. »Hier stimmt doch etwas nicht!« stellte sie fest.
»Was denn?«
»Die Luft ist anders geworden. Riechst du das nicht? So unnatürlich klar.«
Er hob die Schultern. »Nein, ich…«
»Du lügst, Bruder!«
Lester Conway grinste nur und wechselte das Thema. »Ich… ich glaube, ich muß telefonieren.«
»Wen willst du denn jetzt anrufen?«
»Zack Adler.«
»Das kannst du auch heute abend noch machen. Stell dich nicht an, verflixt, du bist…« Lester Conway erfuhr nicht mehr, was seine Schwester meinte, denn in den folgenden Sekunden sahen beide, daß sich Benson, der Lagerchef, nicht getäuscht hatte.
Das Mädchen war da, und die drei Särge ebenfalls. Die Kleine hatte hinter einem der hohen Reifen gelauert und schob sie nun sehr langsam und mit bedächtigen Schritten hervor.
Ihr Haar glänzte wie Gold, das lange Kleid reichte bis zu den Fußknöcheln. Ihr Gesicht wirkte fein wie kostbares Porzellan. Das alles schockte die Geschwister nicht.
Für sie war allein die Tatsache interessant, daß die Unbekannte an goldenen Kordeln drei gläserne Särge hinter sich herzog, die sacht über den Boden schleiften.
Das Geräusch ging Lester Conway durch und durch. Er stand da, ohne sich zu rühren. Er wußte, daß ihn die Vergangenheit eingeholt hatte. Muriel sagte etwas zu ihm, er verstand die Worte nicht, sein Augenmerk galt allein dem Mädchen.
Es blieb stehen und ließ das Band los. Die drei Kordeln klatschten zu Boden. Scharf schaute die ungewöhnliche Person Lester Conway an. An Muriel zeigte sie kein Interesse.
»Weißt du, wer ich bin?« fragte sie plötzlich.
Conway schloß für einen Moment die Augen. Die Stimme war die gleiche, die er am Telefon gehört hatte. So glockenhell und dennoch irgendwie gefährlich.
»Nein!« flüsterte er.
»Ich bin die Tochter der Eltern, die du zusammen mit deinen Freunden getötet hast, und ich bin gekommen, um dir die Rechnung zu präsentieren, Lester Conway. Ich werde dich töten!«
***
Jetzt war es heraus. Auch Muriel hatte die Worte gehört. Ihr Bruder rührte sich nicht. Sie aber drehte sich zur Seite, um Lester anschauen zu können.
»Was hat sie da gesagt? Du sollst getötet haben?«
»Sei ruhig, verdammt!«
»Stimmt es?«
»Es stimmt!« erklärte das Mädchen. »Ich heiße Jarveena, und dieser Mann neben dir hat meine Eltern umgebracht, zusammen mit seinen Freunden. Sie hätten auch mich töten sollen, aber ich war zufällig nicht anwesend. Jetzt besitze ich die Kraft, um den Tod meiner Eltern rächen zu können. Ein Sarg ist für ihn.«
Muriel hatte die Worte gehört. Sie reagierte nicht in Panik, sondern schüttelte den Kopf und sagte:
»Sie sind verrückt. Völlig durchgedreht. Was erzählen Sie da für einen Unsinn?«
»Frag ihn!«
Daran dachte Muriel nicht im Traum. »Wo kommen Sie her?« fragte sie statt dessen. »Los, geben Sie Antwort! Wo kommen Sie her? Wer sind Sie überhaupt? Woher nehmen Sie das Recht…?«
»Ich werde ihn mitnehmen. Und niemand kann mich daran hindern, auch du nicht.«
»Wohin werden Sie ihn mitnehmen?«
»Nach Aibon.«
»Was ist das?«
Lester Conway hatte sich wieder gefangen. »Geh bitte«, bat er seine Schwester. »Das geht hier nur mich etwas an.«
»Dann stimmt es, was sie gesagt hat?«
»Vielleicht.«
»Du bist wahnsinnig, Lester. Du bist völlig übergeschnappt. Wie kannst du nur…?«
»Geh bitte!«
Muriel blieb, und sie sah, wie Jarveena auf ihren Bruder zuging. Der stand noch immer unbeweglich. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Er war ein Mann, der sich immer durchgesetzt hatte und alle Widerstände aus dem Weg räumte.
Hier aber tat er nichts.
Jarveena kam. Ihre Schritte waren kaum zu hören, obwohl die Sohlen über den Boden schleiften.
Auf ihren schmalen Lippen lag ein gefährliches, hintergründiges und gleichzeitig auch wissendes Lächeln. Sichtbar trug sie keine Waffe, dennoch hatte Lester Furcht vor ihr, denn er begann zu zittern.
Das gefiel Muriel überhaupt nicht. »Tu endlich etwas!« keuchte sie. »Willst du dich fertigmachen lassen?«
»Nein,
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