0485 - Whisper - der Staubgeist
Zwar ackerte der Wagen an einigen Stellen, doch durch den Frontantrieb ging es besser voran.
Wir selbst verschwanden innerhalb einer Wolke, konnten, wenn wir aus den Fenstern schauten, kaum etwas von der Umgebung erkennen, doch Suko war es, der schließlich laut »Stopp!« rief.
Ich bremste.
Suko löste den Gurt und stieg aus.
»Was ist los?« fragte ich ihn.
Noch an der Tür stehend, drehte er sich um. »Ich habe etwas gesehen, das nicht hierher paßt.«
»Und was?«
»Komm mit.«
Auch ich verließ den R 30. Der Abbé wollte sitzenbleiben und auf uns warten. Meine Füße versanken bis zu den Knöcheln und manchmal noch tiefer im Sand. Suko ging vor mir her. Er ließ ebenso eine Schleifspur zurück wie ich. Die Sonnenstrahlen brannten auf unsere Köpfe. Ich mußte die dunkle Brille einfach auflassen.
Was Suko gesehen hatte, paßte tatsächlich nicht in die grauenhafte Einöde. Er war neben einem Motorroller stehengeblieben, der aufgebockt stand und dessen Reifen im Sand verschwunden waren.
»Das habe ich gesehen, John.«
Ich umrundete das Fahrzeug, hob die Schultern und sagte: »Sorry, aber ich kann nichts Außergewöhnliches daran erkennen.«
»Ich auch nicht. Allerdings frage ich mich, wie der Motorroller hierherkommt?«
»Da muß vor uns jemand den Ort besucht haben.«
Mein Freund nickte. »Ich würde gern wissen, wo sich dieser Jemand verborgen hält und wer er ist.«
Plötzlich hörten wir eine helle Mädchenstimme rechts von uns aufklingen.
Wir drehten uns. Die Kleine mußte im Sand gelegen haben. Jetzt erhob sie sich, schüttelte den Staub ab und kam mit langsamen und schleifenden Schritten auf uns zu…
***
Ich betrachtete sie. Das Mädchen trug einen weit geschnittenen Rock und eine Bluse sowie einen dünnen Pullover darüber. Ihr dunkles Haar wirkte schmutzig. Die Haut war schon gebräunt. Vom Typ her gehörte sie zu den Südländern. Ihr Gesicht zeigte Züge, aus denen das Kindhafte noch nicht völlig verschwunden war. Über Zwanzig konnte sie nicht sein. Ihre dunklen Augen waren ängstlich und fragend auf uns gerichtet.
»Wer sind Sie?« fragte ich.
»Janine Remi.«
»Und Sie gehörten nach Alcoste?«
»Ja, ich habe hier gelebt.«
»Außerdem überlebt. Wieso?«
Sie senkte den Kopf. Mit dem linken Fuß zeichnete sie einen Kreis in den Sand. Es fiel ihr schwer zu sprechen. »Ich… ich habe keine Tränen mehr und kann auch nicht weinen«, sagte sie, um sofort das Thema zu wechseln. »Wer sind Sie? Wo kommen Sie her? Sie sind fremd!«
»Ja, das sind wir«, sagte Suko und begann mit der Vorstellung.
Den Abbé vergaßen wir auch nicht.
»Abbé Bloch?« fragte Janine.
»Ja. Kennen Sie ihn?«
»Natürlich. Das heißt nein, ich hörte von ihm. Er wohnt aber nicht hier, sondern in Alet-les-Bains.«
»Stimmt auch wieder. Und dort wollten wir hin«, sagte ich. »Aber Sie haben uns noch nicht gesagt, was hier passiert ist. Hier hätte ein Dorf stehen müssen.«
»Ja, das hätte es.«
»Und dann?«
Sie schaute an uns vorbei und begann mit tonloser Stimme zu reden. »Dann kam er, der große Sturm. Es war furchtbar. Mein Urgroßvater hatte mich gewarnt. Ich lachte ihn noch aus, aber ich wollte zu einer Freundin fahren und verließ Alcoste vor dem großen Grauen. Mein Urgroßvater sprach von der völligen Vernichtung, was ich nicht glauben wollte, es aber nun mit eigenen Augen sehe und es selbst erleben muß.« Sie konnte nicht mehr weitersprechen.
Ihre Knie gaben plötzlich nach, und sie wirkte so, als wäre ein Windstoß hart in ihren Rücken gefahren.
Janine kippte nach vorn. Über ihre Lippen drang dabei noch ein leiser Ruf der Überraschung.
Suko und ich waren gleich schnell, sprangen auf sie zu und fingen sie ab. Janine war nicht bewußtlos. Ein Schwächeanfall hatte sie überkommen. In den Sand wollten wir sie nicht legen, brachten sie zum Wagen und setzten sie auf den Beifahrersitz.
»Haben wir etwas Trinkbares?« fragte ich.
»Nein.«
»Das ist auch nicht nötig!« hörten wir das junge Mädchen flüstern, noch bevor ich den Sitz nach hinten legen konnte. »Es… es geht schon wieder. Das war alles etwas zu viel für mich.«
Sie strich durch ihr Gesicht, das sehr blaß geworden war. »Ich habe auch Hunger«, flüsterte sie.
Die Tafel Schokolade steckte noch in meiner Tasche. Leider war die Masse schon ziemich weich, Janine aß sie trotzdem mit einem wahren Heißhunger auf.
Ich saß neben ihr. »Haben Sie uns nicht noch etwas zu sagen?« fragte ich.
Sie nickte.
»Es
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