0486 - Die Voodoo-Hexe
ergänzen. Sie hatte Julians Handschrift perfekt kopiert. Dadurch hatte sie sich einen langen, zähen Kampf um den Fürstenthron erspart, den sie schon immer erstrebt hatte und der so unendlich lange für sie unerreichbar geblieben war, bis eine Fügung des Schicksals ihr diese einmalige Chance in die Hände gespielt hatte.
Alle, selbst Lucifuge Rofocale und wohl auch LUZIFER, mußten davon ausgehen, daß Julian sie zu seiner Nachfolgerin bestimmt hatte. Doch gerade deshalb, weil sie nicht um den Thron hatte kämpfen müssen, empfand der Erzdämon Astaroth ihr gegenüber nicht den geringsten Respekt. Er gehorchte ihr, wenn sie befahl, weil sie als Fürstin der Finsternis über ihm stand - aber das war nur eine Formsache. Er wußte, daß er ihr maßlos überlegen war, sollte sie es einmal auf eine Machtprobe ankommen lassen.
»Bei dieser Angelegenheit könnte es auch um den Fortbestand der Hölle gehen«, warf Stygia ein und griff damit Astaroths Antwort auf. »Dann zum Beispiel, wenn es sich wider Erwarten nicht um Rivalitäten innerhalb der Schwefelklüfte handelt, sondern ein Angriff von außerhalb an uns herangetragen wird.«
Astaroth wurde ernst. Was Stygia sagte, war immerhin nachdenkenswert. Allerdings war es nicht einfach, aus der Welt der Menschen oder aus anderen Dimensionen heraus die Hölle in ihrem Innern anzugreifen, noch dazu dermaßen gezielt. Dazu mußte ein Fremder erst einmal genau wissen, wo sich der Thronsaal befand - und in der Hölle einen bestimmten Punkt zu lokalisieren, war für einen Fremden praktisch unmöglich. Alles war in ständiger Bewegung, in ständigem Umbruch. Von daher war Astaroth sicher, daß Stygias erster Verdacht eher zutraf, nämlich, daß ihr jemand einen Schuß vor den Bug setzte und beabsichtigt oder aus Versehen ihren treuen Diener erwischt hatte. Nun, mit diesen Machtkämpfen sollte sie sich gefälligst selbst befassen!
»Du meinst die DYNASTIE DER EWIGEN, Fürstin?« hakte Astaroth ein. »Oder die MÄCHTIGEN? Oder vielleicht gar Zamorra und seine Spießgesellen? Hast du einen bestimmten Verdacht?«
»Hätte ich dich dann um deinen Rat und deine Hilfe gebeten?« fuhr Stygia ihn an. »Wenn ich schon jetzt genau wüßte, mit wem ich es zu tun habe, brauchte ich dich nicht. Ich würde zuschlagen und den Feind vernichten.«
Astaroth enthielt sich einer sarkastischen Bemerkung; einen der aufgezählten Gegner hatten schon ganz andere als Stygia vergeblich zu vernichten versucht. Möglicherweise wurde dazu ein Zusammenschluß vieler, wenn nicht aller Höllendämonen erforderlich, und es war einfach ausgeschlossen, die alle unter einen Hut zu bringen.
»Ich werde sehen, was sich machen läßt«, brummte der Erzdämon lustlos.
»Ich rate dir, bald zu einem Ergebnis zu kommen«, sagte Stygia schroff. »Denn wenn sich dies wirklich zu einer größeren Gefahr für die Schwefelklüfte entwickelt, läge die Schuld bei dir, sollten wir mit dieser Gefahr nicht fertig werden.«
Astaroth verneigte sich mit spöttischem Grinsen vor ihr. »Ich höre und gehorche, Fürstin«, sagte er und schalt sie in Gedanken eine unfähige Närrin.
Aber solange sie die Herrin der Schwarzen Familie war, mußte er ihrem Befehl gehorchen - oder eine Revolte anzetteln, um sie von ihrem Thron zu stürzen. Aber das wollte er nicht. Momentan sah er niemanden, der qualifiziert genug war, nach Stygia diese Position einzunehmen - es sei denn, Asmodis kehrte zurück. Astaroth selbst zog nichts an die Macht. Er blieb lieber der Marionettenspieler im Hintergrund, der andere Dämonen nach seiner Pfeife tanzen ließ.
***
Von Nicole Duvals Faulheit war nicht mehr viel zu spüren, als sie in Zamorras Arbeitszimmer hinter dem Schreibtisch saß und das Telefon zum Glühen brachte, um herauszufinden, wie, wo und wann sie jene Desiree Colon erreichen konnte. Zamorra stand hinter ihr und streichelte ihre Schultern und das vom Duschen noch feuchte Haar. Schließlich bekam Nicole die gewünschte Telefonnummer. Bei der Fernsehanstalt hatte sie niemand mehr erreicht, der für die ausgestrahlte Sendung über Voodoo zuständig war; natürlich war längst Feierabend. Und die Studioredakteure und sonstigen Mitarbeiter, die um diese Frühabendzeit noch die Stellung hielten, konnten ihr kaum weiterhelfen. Einer erinnerte sich, bei den Aufnahmen dabeigewesen zu sein und war der Ansicht, Desiree Colon müsse in der Nähe von St. Etienne wohnen. Nicole jubelte schon; das war ja gar nicht sonderlich weit entfernt. Aber dann
Weitere Kostenlose Bücher