0486 - Die Voodoo-Hexe
stellte sich heraus, daß es in St. Etienne gleich drei Desiree Colons gab, und in Terrenoire, einem kleinen Ort unmittelbar im Südosten der Stadt, existierte eine vierte Frau dieses Namens. Der Reihe nach rief Nicole sie alle an; zuerst die Frau in Terrenoire, aber dort meldete sich niemand. Als Nicole die drei anderen endlich abgehakt hatte, bekam sie Desiree Colon aus Terrenoire beim zweiten Versuch doch noch an die Strippe. Und diesmal hatte sie die richtige Person erwischt!
Sie atmete auf. Es wäre recht ärgerlich gewesen, wenn sie nach den bisherigen Fehlversuchen den Radius hätte erweitern müssen; wenn es schon unmittelbar in St. Etienne und Umgebung vier Desiree Colons gab, dann stand zu erwarten, daß dieser Name auch in der weiteren Umgebung noch einige Male auftauchte.
Das Telefongespräch dauerte nicht sehr lange. Nicole brauchte nur auf die Fernsehsendung zu sprechen kommen und zu erwähnen, daß ihr Chef, Professor Zamorra, ein Parapsychologe sei, der sich für derlei Phänomene brennend interessiere, als Desiree Colon schon von sich aus einen Gesprächstermin ansprach.
»Wann wäre es Ihnen denn recht?« wollte Nicole wissen.
»Von wo kommen Sie?« fragte Colon zurück, um dann festzustellen: »Das sind ja gerade mal etwa 60 Kilometer! Können Sie das heute abend noch schaffen? In den nächsten Tagen habe ich nämlich ziemlich wenig Zeit. Aber heute würde es gehen.«
»Aber es kann sein, daß das Gespräch sich dann bis spät in die Nacht hineinzieht«, glaubte Nicole warnen zu müssen.
»Das ist mir sehr recht«, kam es aus der Leitung zurück. »Wenn Sie wollen, kommen Sie doch jetzt gleich. Ich denke, daß Sie kaum mehr als eine Stunde Fahrzeit benötigen werden. Ansonsten müßten Sie vielleicht in einer Woche noch einmal anrufen und dann einen neuen Termin vereinbaren, weil ich jetzt beim besten Willen noch nicht sagen kann, wie mein Zeitplan in den nächsten Tagen aussieht. Ich weiß nur, daß ich sehr viel zu tun habe und sehr viel unterwegs sein werde.«
Nicole drehte den Kopf nach hinten und sah Zamorra an, der über die Freisprecheinrichtung mitgehört hatte. Er nickte schulterzuckend. Wenn Nicole einverstanden war, war es ihm auch recht. Mindestens eine ganze Woche warten wollte er auf keinen Fall. Falls mit Desiree Colon tatsächlich etwas nicht in Ordnung war, wie Nicole vermutete, dann sollten sie lieber die Situation sofort klären!
»Wir kommen«, versprach Nicole. »Darf ich dann noch um Ihre Adresse und eine kurze Wegbeschreibung bitten?« Sie gab Colons Erklärungen direkt in den Computer ein und ließ den Text gleich ausdrucken, nachdem sie den Telefonhörer aufgelegt hatte. Dann erhob sie sich, das Papier durch die Luft wedelnd.
»Mach dich reisefertig, Chef. Je weniger Zeit wir vertrödeln, desto eher, sind wir da«, meinte sie und stürmte an Zamorra vorbei aus dem Arbeitszimmer zur nach unten führenden Treppe.
»He, warte mal!« rief Zamorra ihr nach. »Solltest du dich nicht auch reisefertig machen?«
Nicole stoppte, sah an sich herunter und lachte. »Vielleicht hast du ausnahmsweise mal recht«, erwiderte sie und steuerte ihre Zimmerflucht an.
Derweilen öffnete Zamorra den Tresor und nahm den Dhyarra-Kristall heraus, welchen er zusätzlich zu seinem Amulett mitzunehmen gedachte. Vielleicht würde sich das auf die eine oder andere Weise als nützlich erweisen. Einmal zu vorsichtig war allemal besser als einmal zu tot!
***
Desiree lächelte. Ausgerechnet der weltberühmte Parapsychologe Professor Zamorra wollte sich mit ihr unterhalten! Sie fragte sich, was er damit bezweckte. Es gab ein paar tausend Leute auf der Welt, die in seinen Augen wesentlich kompetenter sein mußten, wenn es darum ging, über Voodoo zu reden. Warum flog ein Mann wie er nicht hinüber nach Haiti oder in die Südstaaten der USA, um dort die Houngans zu befragen? Oder wollte er nur überprüfen, ob sie das, was sie in der Sendung gesagt hatte, wirklich so meinte? Diese Sendung, die das französische Fernsehen gemacht hatte, war schlecht. Desiree selbst hatte vor der Kamera das sagen müssen, was man von ihr erwartete! Aber es konnte ihr egal sein. Sie hatte mitgemacht, weil sie Spaß daran hatte und weil sie Geld dafür bekam. Das half ihr wieder für einige Zeit über die Runden. Geldverdienen wurde für sie mit den Jahren immer schwieriger; niemand, der ihre Papiere sichtete, gab ihr noch einen Job, wenn er es halbwegs ehrlich mit seinem Geschäft meinte. Die Arbeitgeber wollten
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