0488 - Die Mumie und der Totengott
die Höhe und stemmte sich dabei in eine senkrechte Haltung.
Dann stand sie vor mir.
Klein, jedoch nicht unscheinbar. Sie war schon etwas Besonderes.
Obwohl sie so friedlich wirkte, spürte ich bei ihrem Anblick ein gewisses Unbehagen. Ohne Grund war sie nicht aus ihrem Totenschlaf erwacht. Irgendeine Kraft mußte vorhanden sein, die sie leitete.
Aber wohin?
Die Mumie schaute zur Seite. Sie bewegte dabei ihren Kopf fast wie ein normaler Mensch. Keine Binde platzte auf. Die Tücher hielten, als wären sie festgeleimt worden.
Dann tat sie den ersten Schritt. Unsicher wie ein Kind, das laufen lernt. Sie ging nicht auf mich zu, weil ich sie einfach nicht interessierte. Wichtig war allein der Gang auf die Pyramidenwand zu.
Es gab keinen Zweifel, daß die Mumie ihr Gefängnis verlassen wollte. Ich ließ sie gehen, blieb ihr aber auf den Fersen. Vor mir schien ein Kind zu gehen, so klein war das Mädchen. Die von Binden und Tüchern umwickelten Arme hingen zu beiden Seiten ihres Körpers herab und schwangen beim Laufen mit. Bei jedem Schritt knirschte es. Mich hatten die Wände der Pyramide nicht aufhalten können, weil ich die entsprechende Magie eingesetzt hatte.
Wie würde es bei der Mumie sein?
Es waren nur noch wenig Schritte bis zur Grenze. Drei, zwei, nur einer.
In mir wuchs die Spannung.
Jetzt mußte sie anstoßen – oder?
Nein, sie ging hindurch!
Wie ich es getan hatte. Aber sie brauchte keine weißmagischen Hilfsmittel. Bei ihr reichte allein die Existenz.
Das war schon etwas Besonderes. Mir wurde klar, welch eine Kraft in der Mumie steckte.
Sie befand sich bereits auf der anderen Seite. Ich hatte nicht gesehen, daß sich die Wand bei ihrem Hindurchgehen geöffnet hätte. Sie war für die Mumie einfach nicht vorhanden gewesen.
Und für mich?
Ich versuchte es ebenfalls. Es war nicht weit. Ein Schritt nur, das Ausstrecken der Hand – und…
Nein, für mich blieb die Pyramide verschlossen. Diesmal gab es einfach kein Durchkommen. Das schaffte ich tatsächlich nur mit Hilfe meines Kreuzes.
Dagegen hatte jemand etwas.
Hinter mir vernahm ich das Geräusch. Ein Schleifen, dann ein häßlich klingendes Knurren.
Ich fuhr herum – und starrte direkt in das weit aufgerissene Maul des Schakals.
Der Totengott war erwacht!
***
Bisher hatte er sich als Beschützer der Mumie angesehen. Da ihr kein Leid zugefügt worden war, hatte er auch nicht einzugreifen brauchen, was sich nun äderte.
Plötzlich war er zu einer Bestie geworden, die sich auf mich konzentrierte.
Er sprang mich an.
Es war ein langer, geschmeidiger Sprung, der ihn in meine Richtung katapultierte. Das Maul stand weit offen. Schwarzer Dampf quoll aus ihm hervor, der widerlich stank.
Ich huschte zur Seite und sah den schattenhaften Schakal mit seinem langgestreckten Körper an mir vorbeifliegen. Sofort drehte ich mich herum, sah noch, wie er aufsetzte und der nächste Sprung ihn gegen die Wand katapultierte.
Er durchbrach oder durchströmte sie, denn so kam es mir vor. Ich blieb zurück, staunte nur und dachte daran, daß es endlich Zeit wurde, dieses verdammte Gefängnis zu verlassen. Für mich war die Wand eine Sperre, die ich ohne Kreuz nicht überwinden konnte. Mit seiner Hilfe gelang mir dies sofort. Die Formel war kaum über meine Lippen gedrungen, als abermals das Ankh aufstrahlte und mir den Weg freigab.
Endlich im Freien.
In meiner Welt, in der jetzt die Sonne des Tages verschwunden war und die graue Fläche der Dämmerung den Himmel angestrichen hatte. Ich freute mich dennoch und schaute dorthin, wo einmal die Wagen gestanden hatten.
Suko, der Colonel und die Soldaten waren verschwunden. Sicherlich versuchte mein Freund alles, um mich zu finden. Fragte sich nur, wo er dabei ansetzen sollte.
Es war kühler geworden. Am Abend fielen die Temperaturen im Vergleich zum Tage stark ab, und auch der Wind war kälter geworden. Hinter mir stand die Pyramide.
Eine gewaltige, hochaufragende Geometrie aus einem hellen und innen lichterfülltem Material bestehend. Ein Himmelsstürmer, archaische Performance und doch modern gestylt.
Hatte sie wirklich noch niemand gesehen?
Ich erinnerte mich an den Ort, durch den wir gefahren waren.
High Halden hieß er. Er lag knapp zehn Meilen von hier entfernt.
Das Gelände war hügelig, uneben, da konnte es schon passieren, daß man die Pyramide nicht entdeckte.
Daß sie für Anubis und die Mumie wichtig war, hatte ich auch erlebt. Sie garantierte so etwas wie ein Überleben dieser beiden
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