049 - Die Höhle der Untoten
Kalkfels. Laube sagt, dass dort niemals eine Höhle gewesen sei.«
Dorian trank den Obstler, den Walter Dünhofen ihm serviert hatte. Er schnappte nach Luft und schüttelte sich, lächelte dann aber überrascht.
»Nicht schlecht«, sagte er anerkennend. »Wie war das gerade mit der Blitzeiche, von der Sie gesprochen haben?«
Dorian fühlte sich rundherum wohl, nachdem er mit Trevor Sullivan gesprochen hatte. Darüber vergaß er ein wenig Coco, die für seine Begriffe oben im Gasthofzimmer sicher war.
»Sie ist uralt«, antwortete Walter. »Sie steht vor dem Steilhang, in dem sich die Höhle befinden muss.«
»Gibt es etwas Besonderes an dieser Blitzeiche?«
»Sie ist hohl und schon oft von Blitzen getroffen worden, aber sie fällt einfach nicht. Man sagt hier in der Gegend, unter der Eiche hätten sich früher mal Hexen und Erdkobolde getroffen – so etwas wie ein uralter Tanzplatz.«
Bevor Dorian dieses Thema weiterverfolgen konnte, war ein Schrei zu hören. Er dachte sofort an Coco und jagte los.
Coco war im ersten Moment wie gelähmt. Sie starrte auf das Zimmermädchen, das nach dem Anklopfen eingetreten war. Coco hatte sich nichts dabei gedacht. Erstaunlicherweise hatte sie auch erst nichts von der schrecklichen Ausstrahlung dieser jungen Frau verspürt. Doch das änderte sich. Die Wellen des Hasses und der Mordlust, die von ihr ausgingen, überfluteten Coco förmlich. Sie wurde davon derart überrascht, dass sie zu keiner Gegenwehr mehr fähig war.
Das Zimmermädchen – es mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein – hatte ein seltsames, derb geschnittenes Gesicht. Licht und Sonne schien es schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen zu haben.
Die Haut war fahlgelb, die Augen waren blind und leer. Die junge Frau schlich sich wie ein Tier an Coco heran. In die leeren Augen kam nun ein unheimliches Glühen. Coco hatte noch immer nicht die Kraft, etwas gegen diese Bedrohung zu tun. Wie hypnotisiert blieb sie neben dem Bett stehen. Erst als die Frau ihre Hände vorstreckte, erwachte Coco aus dem Bann, der sich ganz eindeutig um sie gelegt hatte. Sie stieß einen Schrei aus und warf sich zurück.
Coco war trotz ihres Zustandes noch immer sehr geschmeidig. Sie entging gerade noch den Händen, die sich zu Klauen geformt hatten. Sie versuchte das Wesen zu bannen, aber sie merkte, dass ihre Kräfte dazu nicht ausreichten. Panik erfasste sie. Sie warf sich auf das Bett, rollte sich ab, griff nach dem Aschenbecher, der auf dem Nachttisch stand, und schleuderte ihn auf das Zimmermädchen, dessen Gesicht zu einer wilden, hassverzerrten Fratze geworden war. Weißer, blasiger Schaum stand in den Mundwinkeln des Wesens, das jetzt langsam um das Bett herumkam. Dann warf es sich plötzlich vor und griff nach Cocos Haaren. Der stechende Schmerz in der Kopfhaut beflügelte Coco. Vorbei war es mit der panischen Angst. Sie dachte automatisch an ihr Kind und wurde zu einer Löwin. Es galt, das noch ungeborene Leben zu schützen. Coco benutzte ihre Handkante als Waffe, schlug gezielt auf das Zimmermädchen ein und trieb es zurück.
Sie heulte vor Schmerz auf, duckte sich, wollte aber erneut angreifen. Doch da war wieder die bannende Kraft in den Blicken Cocos. Von ihren Augen ging eine Macht aus, der das Wesen nicht gewachsen war. Es heulte erneut auf und wandte sich hastig um. Sekunden später war der ganze Spuk vorüber. Die Tür fiel ins Schloss … Coco war wieder allein.
Sie ließ sich auf der Bettkante nieder, rieb ihre Schläfen und entspannte. Als Dorian ins Zimmer stürzte, schaute sie kurz hoch. Er sah mit einem schnellen Blick, dass ein Kampf stattgefunden haben musste.
Besorgt kam er näher und beugte sich über Coco. »Alles in Ordnung?«
Sie schilderte ihm, was sich ereignet hatte. Inzwischen hatte sie sich wieder voll unter Kontrolle. »Sieh doch!«, rief sie plötzlich und deutete auf den gescheuerten Holzfußboden.
»Fußspuren«, stellte Dorian fest. »Ton und Kalk. Das Zimmermädchen hatte keine Schuhe an?«
»Darauf habe ich nicht geachtet, Dorian. Ich weiß nur, dass diese Frau unter einem fremden Willen stand. Und dieser Wille war sehr, sehr mächtig.«
»Olivaro scheint uns doch aufgespürt zu haben«, meinte Dorian nachdenklich. »Damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.«
Coco und Dorian sahen zur Tür hinüber, als angeklopft wurde. Dorian ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Als er Walter Dünhofen sah, ließ er ihn eintreten. Er sah den jungen Mann prüfend und misstrauisch an.
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