0492 - Der Zug aus der Hölle
ihm in rund fünfzig Metern Entfernung gegenüberstand, war kein Mensch. Sie war ein Dämon.
Der Dämon zuckte nicht einmal. Er absorbierte die Silbergeschosse, als wären sie gar nicht existent. Er lachte nur spöttisch, und dieses Lachen erzeugte eine Gänsehaut. Saris erschauerte. »Wer bist du?« fragte er leise und mußte sich zwingen, seine Stimme fest klingen zu lassen.
»Ich bin Lucifuge Rofocale«, vernahm er die Antwort. »Ich bin dein Feind. Ich will dich vernichten, für alle Zeiten.«
Saris ließ die Pistole sinken. »Was versprichst du dir davon?« fragte er. »Die Llewellyn-Erbfolge war nie stark genug, deinesgleichen entscheidend entgegenzutreten.«
»Warum sagst du mir etwas, das ich lange schon weiß?« fragte Lucifuge Rofocale. »Vielleicht weiß ich sogar mehr als du. Bryont Saris ap Llewellyn. Vielleicht weiß ich, daß ihr einst auf unserer Seite standen. Daß ihr profitiertet von einer Form der Unsterblichkeit, die meine Art euch anbot. Aber dein Vorfahre… nein, in Wirklichkeit warst du es ja selbst, Llewellyn, befreite sich mit einem üblen Trick von allen Verpflichtungen meinesgleichen gegenüber. Vielleicht war es so, Bryont Saris? Ist es dann nicht mein Recht, zurückzufordern, was dir wohl seit mehr als zwanzigtausend Jahren nicht mehr zusteht?«
»Vielleicht war es auch nicht so«, erwiderte Saris. »Vielleicht lügst du, Lucifuge Rofocale. Viel Zeit ist vergangen, sehr viel Zeit.«
Abermals lachte der Dämon leise. »Llewellyn, ich bin nicht hier, um mit dir zu diskutieren. Ich bin hier, um dir deine Unsterblichkeit zu nehmen. Du wirst sterben - und zwar jetzt. Keine Chance für deine Wiedergeburt, Llewellyn.«
Saris wußte, daß er gegen den Erzdämon keine Chance hatte. Dazu war seine eigene Magie viel zu schwach. Vor achttausend Jahren hatte es einmal einen Llewellyn gegeben, der wirklich stark gewesen war. Er hatte selbst das Wetter nach seinem Willen lenken können. Aber danach hatte es nie wieder eine solche Macht gegeben. Seltsamerweise vererbte sich das magische Potential beim Generationswechsel nicht. Es schien sich am Körper zu orientieren, nicht am Geist.
Die Llewellyn-Magie vermochte zwar weißmagische Schutzfelder zu erstellen, die kein Dämon jemals durchdringen konnte. Aber das war nicht zu vergleichen mit dem, was beispielsweise Zamorra vollbrachte. Die Llewellyn-Magie war eher passiv.
Daher gab es nur einen Grund, weshalb die Höllenmächte sich so ernsthaft bemühten, die Erbfolge zu stoppen: eine Art Verrat. Vielleicht stimmt es wirklich, was Lucifuge Rofocale behauptet hatte, daß nämlich diese bizarre Art der Unsterblichkeit dem Llewellyn-Erbfolger einst von Dämonen verliehen worden war. Daß er später abtrünnig wurde, weiter lebte, aber nicht mehr daran dachte, im Sinne der Hölle aktiv zu werden…
Aber konnte das Ganze nicht auch einfach nur ein Bluff sein? Eine Lüge, die Lucifuge Rofocale ihm vor die Füße warf wie einem Hund den Knochen? War es nicht vielleicht nur eine Verunsicherungstaktik?
Saris dachte an Zamorra. Doch warum sollte er hoffen, daß sein Freund ausgerechnet jetzt eingriff? Zamorra konnte nicht wissen, was hier geschah, und selbst wenn Patricia ihn alarmierte, brauchte der Dämonenjäger wenigstens einen halben Tag, um nach Schottland zu kommen, sofern er überhaupt erreichbar war. Nein, auf Zamorras Hilfe konnte Saris nicht hoffen. Der einzige, der ihm helfen konnte, war er selbst. Und gegen den Herrn der Hölle war er machtlos.
»Ich bin dir in die Falle gegangen, Lucifuge Rofocale«, gestand er ein. »Es sieht so aus, als hättest du die Macht über mich. Du kannst mich vernichten, wenn du willst. Aber vielleicht gewährst du mir die Erfüllung eines Wunsches.«
»Warum sollte ich das tun?« lachte der Erzdämon höhnisch.
»Ja, warum?« echote Saris. »Vielleicht deiner Ehre wegen.«
»Was verstehst du schon von der Ehre eines Dämons?« spöttelte Lucifuge Rofocale. Er war jetzt näher gekommen, zeigte sich als ein flirrendes, machtvolles Etwas, dessen genaue Umrisse ständig verschwammen. Er strahlte dabei eine Aura der Macht aus, gegen die sich selbst der Llewellyn kaum wehren konnte. Es kostete ihn enorme psychische Kraft, sich gegen den Dämon zu stellen und mit ihm zu streiten.
»Ich werde mir deinen Wunsch anhören«, verkündete der Erzdämon. »Danach werde ich entscheiden, ob ich ihn dir erfülle oder nicht.«
Das war immerhin etwas, wenngleich der Lord sich davon nicht sehr viel versprechen durfte. Die
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