0498 - Der Schatten des Killers
Keiner kannte seine wirkliche Identität.
Höchstens sein Spitzname war bekannt, und er verriet nicht viel. Der Gangsterboß wußte genau, wie man ihn nannte. Das störte ihn nicht. Er fand es sogar ganz amüsant.
Man nannte ihn Jack den Henker…
***
Er war alles andere als ein Henker. Noch nie hatte er einen Mord persönlich ausgeführt. Dafür hatte er seine Leute.
Dennoch — die Maske, die er sich für seine Arbeit zugelegt hatte, glich dem stupiden Gesicht eines Scharfrichters landläufiger Kriminalfilme. In gewisser Weise hatte er dabei sogar Ähnlichkeit mit einem seiner Killer. Mit dem Killer, den er jetzt erwartete und dessen Schicksal sich vor wenigen Minuten entschieden hatte.
Auch dieser Mann sollte sterben. Er hatte mehrere Morde ausgeführt, jetzt war er nicht mehr viel nütze. Jack der Henker konnte es sich leisten, seine Mitarbeiter durch die Polizei schnappen zu lassen. Niemand würde in der Lage sein, auch nur den geringsten Fingerzeig auf seine wahre Identität zu liefern.
Es klopfte an der Tür. Jack zündete sich erst einmal eine Zigarette an. Dann sagte er laut: »Herein!«
Die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Herein schlüpfte der Mann, der heute bereits einen Doppelmord in der 69. Street verübt hatte.
»Du hast mich rufen lassen, Boß?« fragte der Killer.
Jack nickte. »Ja, ich habe eine weitere Aufgabe für dich. Die Frau des Taxifahrers ist uns noch im Weg. Du mußt die Sache erledigen. Sollte — was anzunehmen ist — ein G-man im Hause sein, laß ihn mit hopsgehen. Für ihn bekommst du die dreifache Prämie.«
»Okay.« Der Killer sah zur Uhr. »Das Taschengeld verdiene ich mir schnell dazu.«
»Sei vorsichtig«, warnte der Gangsterboß. »G-men sind nicht von gestern. Sie sind ganz schön auf Selbstverteidigung geschult.«
»Habe ich schon jemals einen Fall verpatzt?« brauste der Killer auf.
»No«, gab Jack eiskalt zurück. »Bisher hast du aber auch noch nie versucht, gegen einen G-man anzukommen. Und mit Sicherheit wird dort jemand sein.«
»Ich eiledige das schon«, gab der Killer selbstsicher zurück. »Obwohl mir nicht ganz klar ist, warum wir uns darum auch noch kümmern.«
Jack der Henker grinste. »Das braucht dich nicht zu interessieren. Du bekommst dein Geld, und damit ist für dich der Fall erledigt. Schließlich bin ich derjenige, der bei uns die Pläne entwirft. Das ist euch bisher immer recht gut bekommen und wird auch in Zukunft so sein.«
»Okay, Boß«, murmelte der Killer. »Ich werde ihn schon schaffen.«
Dann ging er los. Er hatte einen Mordauftrag bekommen. Wie immer, wenn er mit seinem Boß zusammenkam…
***
Wir fuhren den Jaguar nur zwei Häuserblocks weiter. Phil besah sich während dieser Zeit ein Polaroidbild. Die Leute von der Spurensicherung hatten es ihm gegeben. Es war eine Aufnahme des Toten.
Um die Fahndung in einem Mordfall schneller ankurbeln zu können, war die City Police in letzter Zeit dazu übergegangen, auch Polaroidaufnahmen vom Tatort zu machen; die Beamten besaßen dadurch bereits zehn Sekunden, nachdem sie am Tatort eingetroffen waren, eine Aufnahme des jeweiligen Opfers. Für die Karteiarbeit war das eine wertvolle Hilfe. Auch wenn man Augenzeugen befragte, konnte man auf diese Art unmittelbar nach der Entdeckung des Mordes mit handfestem Material arbeiten. In vielen Fällen hing von einer schnellen Identifizierung einer Leiche die Klärung des ganzen Mordfalles ab.
Das Lokal, in dem der Ermordete seine letzten Drinks getrunken hatte, hieß »Last Chance«. Phil und ich zwängten uns durch eine leicht quietschende Pendeltür und betraten den muffigen Barraum.
»Last Chance« war eine der üblichen Kneipen der Bowery, bei denen man nicht ganz sicher ist, ob hier nur Angehörige der Unterwelt oder auch ehrbare Bürger verkehren.
Die Haupteinrichtung des Lokals bestand aus Messing. Messing an der Bar, an den Tischkanten, den einzelnen Deckenpfeilern und den Tabletts der eifrig umherschwirrenden Kellner.
Ich zwinkerte ein paarmal mit den Augen, bis ich mich an den Tabak- und Alkoholdunst endlich gewöhnt hatte. Phil steuerte schon auf die Theke zu, an der zwei Hocker frei waren.
Ich folgte ihm, doch mit einem Male blieb ich mitten im Schritt stehen. Von der Theke grinste mir ein Mann freundlich zu und hob sein halbleeres Whiskyglas.
»Immer noch auf den Beinen, Mr. Cotton? Ich dachte, Sie schliefen schon längst.«
Es war Henderson, der Mann mit dem Tip vor meiner Haustür. Selbst hier in dem warmen Lokal trug
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