0499 - Die Hexe von Stonehenge
handeln. Es mochte auch noch andere, viel verblüffendere Erlärungen geben. Irgendeine würde wohl zutreffen. Ihr gefiel nur nicht, daß die Schulweisheit in diesem wie in zahllosen anderen Fällen der Geschichte vorschreiben wollte, wie sie sich abgespielt haben sollte. Solange es keine eindeutigen Beweise gab, war alles möglich.
Natürlich interessierte Marsha sich nicht allein für die Steinkreise oder andere prähistorische Monumente. Es lag nahe, daß sie sich auch mit den Druiden befaßte, über die kaum etwas Konkretes bekannt war. Sie selbst hatten nie schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen. Was es an Schriftlichem gab, war von den Römern Tacitus und Caesar hinterlassen worden, die die Druiden als Außenstehende, als Eroberer betrachtet hatten. Aber diese Betrachtungen waren mit äußerster Vorsicht zu genießen. Damals befanden sich die Römer in einem Eroberungskrieg und benötigten für ihre Soldaten ein klares Feindbild, um sie besser zum Kämpfen und Töten motivieren zu können. Was lag näher, als die Priesterschaft des zu erobernden Volkes als böse und blutrünstig darzustellen? Selbst Kriegspropaganda der Gegenwart schreckte vor solchen Methoden nicht zurück! Was der Inquisition die Hexen, was den US-Pionieren die Indianer, den Nazis die Juden und den Neo-Nazis die Asylanten waren, das waren den Römern eben die Kelten und ihie Priester, die Druiden. Der Mensch war schon immer ein mörderisches Raubtier, das Feindbilder benötigte, um sich selbst als »gut« rechtfertigen zu können. Und wer von Natur aus kein Feindbild hat, der schafft sich eben künstlich eines.
Marsha Bellows hatte im Laufe der Jahre eine Menge über die Druiden zu lernen versucht, und sie war der Ansicht, eine ganz ansehnliche Menge an Wissen gesammelt zu haben. Aber den Berichten, daß es auch heute noch Menschen gab, die sich als Druiden bezeichneten, stand sie skeptisch gegenüber. Das waren für sie keine Druiden, sondern Nachahmer. Gerade deshalb interessierte es sie so sehr, daß Owen Briggs ihr angeboten hatte, bei einer Zeremonie dieser Neu-Druiden dabei zu sein.
»Owen, wann kann ich diese Leute kennenlernen?« wollte sie wissen.
***
Sid Amos betrat die Goldene Burg. Nichts und niemand stellte sich ihm entgegen. Auch hier wurden keine Fallen aktiv. Immer noch war sein Amulett nicht als Schlüssel in Aktion getreten.
An den Gedanken, Sara Moon selbst habe alle Fallen deaktiviert, als sie die Stonehenge-Basis verließ, konnte Amos sich nicht gewöhnen. Das paßt nicht zu Merlins Tochter, die einst wie heute an »Besitzstandwahrung« dachte und eine solche Anlage kaum freiwillig dem Zugriff eines anderen überlassen würde. Also mußte es etwas anderes geben, das dafür sorgte, daß keine Falle auf Sid Amos reagierte.
Etwa doch sein schwarzes Blut?
Waren diese Fallen auf Dämonen »programmiert«?
Anders konnte es nicht sein. Der Abtrünnige der Hölle wußte, daß zwischenzeitlich weder Merlin noch Zamorra oder einer der Silbermond-Druiden hier unten gewesen war, um die Fallen zu entschärfen. Die unterirdische Anlage war seit Saras Abgang unberührt.
Einem oberflächlichen Besucher hätte dies als Erklärung genügen können. Einem wie Sid Amos reichte es nicht. Er wurde mißtrauisch, und noch sorgfältiger sah er sich jetzt in der Goldenen Burg um.
Und dann entdeckte er die Spuren.
Er schaute zweimal hin, und er überprüfte sie sehr genau, um ganz sicherzugehen.
Vor ihm war doch schon einmal jemand hier gewesen!
***
Die Antwort aus dem Interpol-Büro London erwischte Inspektor Ben Ryde, von seinem Assistenten nur lässig »Spec« genannt, knapp vor Feierabend.
Die Order, diesen weltenbummelnden Parapsychologie-Professor Zamorra, der zwei Staatsbürgerschaften besaß, zu observieren, wurde noch einmal nachdrücklich bestätigt. P. Z. wird in Begleitung seiner Sekretärin Duval vom 20. auf den 22. 6. 1993 in Amesbury in der Pension Wrestwax Quartier nehmen. Observations-Ergebnis schriftlich an Interpol London, Großbritanien, und Interpol Washington, D.C., USA. Gegebenenfalls Handeln nach eigenem Ermessen. Zuständiger Sachbearbeiter bei Interpol: Odinsson, Washington, D. C.
»Damit sind wir auch nicht viel schlauer. Aber immerhin wissen wir jetzt, wann und wo dieser Zamorra in Amesbury aufkreuzt«, seufzte Cross und würzte seinen Zucker wieder einmal mit einem Tropfen Milch und etwas Tee. »Nur, was soll der ganze Blödsinn? Odinsson, Washington, D.C.! Nicht mal Dienstrang und einen Vornamen
Weitere Kostenlose Bücher