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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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einzige, mit dem Elena befreundet war. Sie haben Gareth Randolph vergessen.«
    Weavers Augen hinter den Brillengläsern schienen zu verschwimmen. Hastig fuhr Adam fort: »Sie hat ihn mehrmals in der Woche gesehen, soviel ich weiß, Sir. Das gehörte zu ihrer Abmachung mit Dr. Cuff.« Mehr wollte er nicht sagen.
    »Dieser taubstumme...« Weaver brach ab. Sein Blick wurde plötzlich wieder scharf. »Haben Sie sie zurückgewiesen, Adam? Hat sie darum anderswo gesucht? War sie Ihnen nicht gut genug? Haben Sie sie abgelehnt, weil sie taub war?«
    »Nein. Aber gar nicht. Ich habe nur nicht...«
    »Warum dann?«
    Ich hatte Angst, wollte er sagen. Ich hatte Angst, sie würde mich bis aufs Mark aussaugen. Ich war rasend vor Begierde, aber niemals hätte ich sie heiraten wollen, weil sie mich an den schwarzen Abgrund der Selbstzerstörung geführt hätte. Statt dessen sagte er: »Ich habe sie nicht abgelehnt. Zwischen uns ist einfach nichts passiert.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Der Funke hat gefehlt.«
    »Weil sie taub war.«
    »Das war nie die Frage, Sir.«
    »Wie können Sie das behaupten? Wie können Sie von mir erwarten, daß ich das glaube? Natürlich war das die Frage. Für alle. Auch für sie selbst. Wie hätte es anders sein können?«
    Adam wußte, daß dies gefährlicher Boden war. Er scheute die Konfrontation. Aber Weaver wartete auf seine Antwort, und seine steinerne Miene sagte Adam, wie wichtig es war, die richtige Antwort zu geben.
    »Sie war doch nur taub, Sir. Sonst nichts. Nur taub.«
    »Was soll das heißen?«
    »Daß sie sonst vollkommen in Ordnung war. Und selbst daß sie taub war, bedeutete doch nicht, daß mit ihr etwas nicht in Ordnung war. Es ist lediglich ein Wort, das die Leute benutzen, um zu sagen, daß etwas fehlt.«
    »Wie blind oder stumm oder gelähmt?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Und wenn sie blind, stumm oder gelähmt gewesen wäre, würden Sie dann immer noch sagen, das sei nie die Frage gewesen?«
    »Aber das war sie doch alles gar nicht.«
    »Würden Sie immer noch sagen, das sei nicht die Frage?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Ich kann nur sagen, daß die Tatsache, daß Elena gehörlos war, für mich keine Rolle spielte.«
    »Sie lügen.«
    »Sir!«
    »Für Sie war sie eine Mißgeburt.«
    »Überhaupt nicht.«
    »Ihre Stimme und ihre Aussprache waren Ihnen peinlich. Es war Ihnen peinlich, daß andere diese merkwürdige Stimme hörten, weil sie selbst nicht beurteilen konnte, wie laut sie sprach. Die Blicke der Leute waren Ihnen peinlich. Und Sie haben sich geschämt. Weil Sie nicht zu ihr stehen konnten. Doch nicht der überlegene Liberale, für den Sie sich immer gehalten hatten, wie? Immer haben Sie gewünscht, sie wäre normal, denn wenn sie es gewesen wäre - wenn sie nur hätte hören können -, dann hätten Sie nicht dauernd das Gefühl gehabt, Sie schuldeten ihr mehr, als Sie geben konnten.«
    Adam war wie erstarrt. Er konnte nicht antworten. Er wollte vorgeben, nichts gehört zu haben, oder wollte wenigstens nicht zeigen, daß er verstanden hatte. Aber er sah, daß ihm keines von beiden gelang. Weavers Gesicht schien plötzlich zu verfallen. »O Gott«, sagte er nur.
    Er ging zum Kaminsims, auf dem Adam die eingegangene Post gestapelt hatte. Mit einer ungeheuren Anstrengung, wie es schien, nahm er die Briefe und trug sie zu seinem Schreibtisch. Er setzte sich und begann, sie zu öffnen, langsam und schwerfällig.
    Adam ließ sich vorsichtig auf seinem Stuhl nieder. Er versuchte sich wieder auf seine Aufzeichnungen zu konzentrieren. Er wußte, daß er Anthony Weaver in irgendeiner Form Trost schuldete, ein Zeichen des Mitgefühls und der Zuneigung. Aber seine begrenzte Lebenserfahrung erlaubte ihm nicht, die Worte zu finden, um Weaver zu sagen, daß das, was er empfang, keine Sünde war. Daß es nur Sünde war, davor zu fliehen.
    Er hörte einen erstickten Laut und drehte sich herum. Weaver hatte mehrere geöffnete Briefe vor sich liegen, aber er sah sie nicht. Er hatte seine Brille abgenommen und hielt seine Augen mit der Hand bedeckt. Er weinte.

16
    Melinda Powell wollte ihr Fahrrad gerade von der Queen's Lane in den Old Court schieben, als keine fünfzig Meter weiter ein Polizeiauto vorfuhr. Ein uniformierter Polizeibeamter stieg aus, dann folgten der Rektor des Queen's College und ein Tutor. Die drei blieben in der Kälte stehen und sprachen miteinander. Sie hielten die Arme verschränkt, die Wölkchen ihres Atems vernebelten ihre Gesichter, die ernst und

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