05 - Denn bitter ist der Tod
bedrückt waren. Der Polizeibeamte nickte zu irgendeiner Bemerkung des Rektors, und als die drei auseinandergehen wollten, ratterte aus der Silver Street ein Mini in die Queen's Lane hinein und hielt hinter dem Polizeiwagen an.
Zwei Personen stiegen aus, ein großer, blonder Mann im Kaschmirmantel und eine ziemlich vierschrötige Frau, die in endlose Schals vermummt war. Sie traten zu den anderen. Der Blonde zeigte irgendeinen Ausweis, und der Rektor gab ihm daraufhin die Hand. Es folgte ernstes Palaver, dann eine Geste des Rektors zur Seitentür des College, danach eine Anweisung des Blonden an den uniformierten Beamten. Der nickte und kam im Laufschritt die Gasse herunter, auf Melinda zu, die dort mit Ihrem Fahrrad stand. »Entschuldigung, Miss«, sagte er, als er an ihr vorbeilief und durch die Pforte ins College eilte.
Melinda folgte ihm. Sie war fast den ganzen Morgen weg gewesen. Sie hatte sich mit einem Aufsatz abgeplagt, den sie nun zum vierten Mal umschrieb, um ihre Thesen mit allem Nachdruck herauszustellen, obwohl sie wußte, daß ihr Tutor ihn trotzdem von A bis Z verreißen würde. Es war fast Mittag. Normalerweise war der Old Court um diese Zeit fast leer. Aber als Melinda aus dem Durchgang trat, der zur Queen's Lane führte, sah sie die Fußwege zwischen den Rasenflächen von zahlreichen Grüppchen schwatzender Studenten bevölkert, und drüben bei der Tür links vom Nordturm hatte sich sogar eine ziemlich große Gruppe gebildet.
Durch diese Tür verschwand der Polizeibeamte, nachdem er einen Moment angehalten hatte, um eine Frage zu beantworten. Melinda zögerte, als sie das sah. Ihr Fahrrad kam ihr plötzlich sehr schwer vor. Sie hob den Blick zur oberen Etage des Gebäudes und versuchte, durch die Fenster der Mansarde zu sehen. Sie hatte Angst.
»Was ist denn hier los?« fragte sie einen vorüberkommenden Studenten mit blauem Anorak.
»Irgend 'ne Langstrecklerin hat's erwischt«, sagte er. »Heute morgen.«
»Weißt du, wer's war?«
»Wieder eine von Hare and Hound, hab ich gehört.«
Melinda wurde schwarz vor den Augen. Sie hörte ihn fragen: »Geht's dir nicht gut?«, aber sie antwortete nicht, sondern schob wie betäubt ihr Fahrrad zur Tür.
Sie hatte es mir doch versprochen, dachte sie. Sie hatte die Freundin ruhig und ernsthaft beschworen zu bedenken, wie gefährlich es war, das Lauftraining fortzusetzen, solange ein Mörder auf freiem Fuß war. Sie hatte Widerspruch erwartet. Aber zu ihrem Erstaunen hatte Rosalyn sogleich zugestimmt. Sie würde das Lauftraining erst wieder aufnehmen, wenn der Mörder gefaßt sei. Oder wenn sie doch laufen sollte, so auf keinen Fall allein.
Um Mitternacht hatten sie sich getrennt. Rosalyn hatte erklärt, sie sei todmüde, sie müsse noch an einem Aufsatz arbeiten, sie müsse allein sein, um mit Elena Weavers Tod fertigzuwerden. Alles Vorwand, erkannte Melinda jetzt, Anfang vom Ende.
Sie lehnte ihr Fahrrad an die Mauer, obwohl das verboten war, und drängte sich durch die Menge. Einer der Pförtner stand an der Tür und versperrte den Neugierigen den Zugang. Sein Gesicht war teils grimmig, teils zornig, vor allem aber angewidert. Über das Stimmengemurmel hinweg hörte sie ihn sagen: »... mit einer Schrotflinte. Mitten ins Gesicht.«
Und die Enttäuschung über die Fahrlässigkeit der geliebten Freundin löste sich so rasch auf, wie sie sie überfallen hatte, schmolz unter dem schrecklichen Eindruck dieser wenigen Worte.
Schrotflinte. Mitten ins Gesicht.
Melinda drückte die Faust auf den Mund. Anstelle des Pförtners an der Tür sah sie Rosalyn, Gesicht und Körper zerstört, von Schrotkugeln zerfetzt in ihrem Blut liegen. Und dem furchtbaren Bild folgte auf dem Fuß die erschreckende Erkenntnis, wer das getan haben mußte und warum, und daß nun ihr eigenes Leben auf dem Spiel stand.
Sie suchte unter den Studenten rundherum nach dem einen, der nach ihr Ausschau halten würde. Er war nicht da. Aber das hieß nicht, daß er nicht in der Nähe war, an einem Fenster vielleicht, wo er wartete und beobachtete, wie sie auf die Nachricht reagieren würde. Er würde sich nach den Anstrengungen des Morgens ein wenig ausruhen wollen, aber es gab keinen Zweifel, daß er entschlossen war, sein Werk zum bitteren Ende zu bringen.
Sie wollte fliehen und wußte doch, daß es jetzt darauf ankam, Ruhe zu bewahren. Denn wenn sie hier vor allen kehrtmachte und rannte - unter den Augen des Beobachters, der nur auf eine Reaktion von ihr wartete -, dann war sie mit
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